Zwei Jahre sind seit der letzten Auflage der Leitsätze vom Behr’s Verlag ins Land gegangen. Man könnte glauben, es waren zwei Jahre ohne Veröffentlichung neuer oder aktualisierter Leitsätze. Mitnichten! Allein die Tatsache, dass jeweils in kurzer Zeit wieder neue Leitsätze zur Veröffentlichung anstanden, ließ uns über eine längere Phase nach dem passenden Schnitt suchen. Denn wie unbefriedigend wäre es gewesen, ein neues Buch in den Händen zu halten, das nach kurzer Zeit schon wieder „veraltet“ wäre? Das ist der Grund, weshalb wir zögerten und Sie warten ließen. Umso mehr freut es uns nun, gleich mit sieben geänderten Leitsätzen aufwarten zu können – sechs davon sind sogar Neufassungen.

Neu gefasst wurden die:

Leitsätze für Speisepilze und Speisepilzerzeugnisse

Leitsätze für Speisefette und Speiseöle

Leitsätze für Fisch und Fischerzeugnisse

Leitsätze für Krebs- und Weichtiere und Erzeugnisse daraus

Leitsätze für Brot und Kleingebäck

Leitsätze für Puddinge, andere süße Desserts und verwandte Erzeugnisse

Geändert wurden zudem dreimal die Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse. Außerdem erfolgte eine Änderung der Geschäftsordnung der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission. Insgesamt resultierten daraus 10 Veröffentlichungen im Bundesanzeiger beziehungsweise im Gemeinsamen Ministerialblatt. Diesen Veröffentlichungen geht eine intensive Arbeit der 32 Mitglieder der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission (DLMBK) voraus, die durch das Sekretariat und dessen Geschäftsstelle tatkräftig unterstützt werden. Ohne diese vorbildliche Zuarbeit, die das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ermöglicht, wäre das Ehrenamt für die Kommissionsmitglieder nicht leistbar. So werden zum Beispiel Terminabfragen gestellt, Einladungen verschickt, die Sitzungen protokolliert, Unterlagen aufbereitet und allen zur Verfügung gestellt. Auch Rechtsfragen, die während der Leitsatzbearbeitung aufkommen, werden ans zuständige Referat im BMEL weitergeleitet und die Antworten zurückgespielt. Und das alles mit vollem Einsatz. Danke.

Eine neue Herausforderung stellte für alle – für die Mitglieder der DLMBK ebenso wie für die Sachkundigen, aber auch für die Mitarbeiterinnen des Sekretariats und der Geschäftsstelle – die Durchführung von Webkonferenzen dar. Doch letztlich konnten und können wir so die Sitzungen von Präsidium, Plenum, Fachausschüssen und Arbeitsgruppen trotz der Corona-Pandemie abhalten. Wir alle haben wohl technisch eine Menge dazugelernt.

Ein Spaziergang ist die Änderung oder Neufassung eines Leitsatzes ohnehin nicht. Auch wenn immer Übersichtlichkeit und Verständlichkeit der Leitsätze verbessert, Verweise auf Rechtsvorschriften aktualisiert und die verschiedenen Leitsätze untereinander harmonisiert werden, bedarf es stets engagierter Fleißarbeit, um die jeweilige Verkehrsauffassung eines Lebensmittels zu ermitteln. Statt unrealistischer Wünsche kommt es auf die berechtigte Verbrauchererwartung und den redlichen Herstellungs- und Handelsbrauch an. Hilfreich und notwendig ist es grundsätzlich, möglichst viele Produkte einer Lebensmittelgruppe in Augenschein zu nehmen. Kombiniert mit Marktdaten schafft das Fakten, die eine belastbare Basis für Neuerungen in den Leitsätzen darstellen. Auch Marktentwicklungen und Trends lassen sich über diesen Weg ablesen. Heraus kommen tragfähige Leitsätze, die allen am Markt Beteiligten von Nutzen sind. Der Konsens, mit dem die paritätisch aus Verbraucher-, Wirtschafts-, Wissenschafts- und Überwachungsvertretern zusammengesetzte Lebensmittelbuch-Kommission Leitsätze verabschiedet, ist die Garantie für die Akzeptanz, die die Leitsätze nach der Veröffentlichung in der Regel erfahren.

Nun zu den konkreten Neufassungen – aufgeführt in chronologischer Reihenfolge ihrer Veröffentlichung:

Bei der Überarbeitung der Leitsätze für Speisepilze und Speisepilzerzeugnisse ging es schwerpunktmäßig um Folgendes: Das Verzeichnis der üblichen Speisepilzarten in den Leitsätzen wurde im Hinblick auf die dortigen Bezeichnungen überarbeitet. Wichtig war auch, das Angebot der Speisepilze im Markt zu überprüfen. Insbesondere bei den Speisepilzerzeugnissen hat sich dieses nämlich in den letzten Jahren verändert: Beispielsweise werden inzwischen mehr tiefgefrorene Pilze angeboten, während milchsäurevergorene Pilze nur noch eine sehr geringe Marktbedeutung haben. Letztere werden daher in der Neufassung der Leitsätze nicht mehr beschrieben. Im Sinne einer höheren Nachhaltigkeit wurden die Größen für „ausgesucht kleine“ Speisepilzerzeugnisse leicht erhöht und die Toleranzen zum Beispiel für Schnittlängen etwas erweitert.

Ausgangspunkt für die Bearbeitung der Leitsätze für Speisefette und Speiseöle waren neun Änderungsanträge. Darin wurde zum Beispiel angeregt, die in den Leitsätzen verwendeten Begriffe für Produkteigenschaften detaillierter zu fassen und genauere Beschreibungen für die genannten Herstellungsverfahren sowie deren Nachweismöglichkeiten in den Speiseölen und Speisefetten zu wählen. Das hat der Fachausschuss nach gemeinsamer Diskussion mit Sachkundigen in den neugefassten Leitsätzen auch umgesetzt. Aufgrund der in den letzten 10 bis 15 Jahren geänderten Angebots- und Verkaufssituation war es dem Gremium darüber hinaus wichtig, eine Lösung zu finden, um eine mögliche Verwechslungsgefahr von nativen und raffinierten Speisefetten und Speiseölen zu vermeiden. Da allerdings noch keine einheitliche Bezeichnung und Aufmachung auf den Produkten anzutreffen ist – die Begriffe „nativ“ und „kaltgepresst“ werden in der Regel im Hauptsichtfeld werblich herausgestellt, die Angabe „raffiniert“ steht hingegen erst auf dem Rückenetikett –, gilt es, die Marktentwicklung weiter im Auge zu behalten. Hinsichtlich des Stellenwertes der einzelnen Prüfkriterien wird in den Leitsätzen erneut deutlich betont, dass es zur Qualitäts- und Authentizitätsprüfung einer sachkundigen Gesamtbetrachtung bedarf. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass sich die Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches (DLMB) in einigen Punkten bewusst von den Codex Alimentarius Standards für Fette und Öle unterscheiden.

Aus eins mach zwei – so das Motto für die Leitsätze für Fisch und Fischerzeugnisse und die Leitsätze für Krebs- und Weichtiere und Erzeugnisse daraus. Diese beiden Neufassungen sind aus einem Leitsatz hervorgegangen, der aus den 1970er und 80er Jahren stammte und bislang nur punktuell angepasst wurde. Die beiden neuen Leitsätze überzeugen nicht nur durch ihre übersichtliche Struktur, sondern tragen vor allem der steigenden Marktbedeutung von Krebs- und Weichtieren Rechnung. Für die jeweils aufgeführten Produkte wurden die Beschreibungen aktualisiert, Qualitätskriterien ergänzt und dabei sensorische Beschaffenheitsmerkmale sowie mögliche Verarbeitungsfehler mit Toleranzen hinzugefügt. Der besseren Verständlichkeit dienen die neu aufgenommenen warenkundlichen Sachverhalte in diesen Leitsätzen.

Auch die Leitsätze für Brot und Kleingebäck bedurften einer Generalüberholung, denn sie stammten aus dem Jahr 1993 und wurden lediglich einmal aktualisiert. Kein Zweifel, dass sich der hiesige Markt in den Jahren deutlich verändert hat – hinzugekommen sind vor allem Produkte aus anderen Ländern wie Ciabatta, Bagel, Baguette oder Tortilla. Daneben stehen klassische Brote und Kleingebäck sowie etliche Erzeugnisse mit einer hohen regionalen Bedeutung wie zum Beispiel „ausgehobenes Brot“ oder „Schinkenbrot“. Doch nicht nur in Bezug auf die Produktvielfalt bieten die neuen Leitsätze eine verbesserte Orientierung, sondern auch hinsichtlich der Abgrenzung zwischen den Angaben mit „traditioneller Rezeptur“ und aus „traditioneller Herstellung“. Zusätzlich zur vorgenommenen Klarstellung im Rahmen der Getreidesystematik machen eindeutige Bezeichnungen bei den verwendeten Mehlarten und Eingrenzungen von Sammelbezeichnungen die Leitsätze anwenderfreundlicher. Das kommt beispielsweise bei Begriffen wie „Vollkorn“ oder „Knäckebrot“ zum Tragen. Falls Sie nun Appetit bekommen haben und neugierig geworden sind, empfehle ich die Lektüre dieser Leitsätze. Ich verspreche Ihnen: Sie erfahren so viel Neues und profitieren garantiert beim nächsten Einkauf im Bäckerladen davon.

Unter dem sperrigen Namen Leitsätze für Puddinge, andere süße Desserts und verwandte Erzeugnisse wird eine sehr heterogene Gruppe von Produkten zusammengefasst, die wir wohl alle gern zum Nachtisch essen, vorausgesetzt, die Produkte sind verzehrfertig. Die Produktpalette reicht nämlich von fertigen Puddingen und Desserts bis hin zu Trockenerzeugnissen, die erst durch Zusatz von Flüssigkeit, gegebenenfalls auch weiteren Zutaten, durch küchenmäßige Herstellung verzehrfertig gemacht werden. Um die Verkehrsauffassung dieser Lebensmittel zu ermitteln und in den Leitsätzen niederzuschreiben, hat sich der Fachausschuss mit Unterstützung der Sachkundigen sehr viele Erzeugnisse angesehen und die Gemeinsamkeiten herausgearbeitet. Zudem konnte durch eingehende Recherche eine Unterscheidung zwischen industrieller und handwerklicher Produktion, die vorrangig in Kleinbetrieben wie Restaurants und Konditoreien praktiziert wird, getroffen werden. Die neugefassten Leitsätze geben Auskunft über die jeweiligen Unterschiede hinsichtlich Herstellung, Zutaten und Zubereitungsverfahren der beschriebenen Erzeugnisse. Neu sind in diesen Leitsätzen die vereinheitlichten Bezugsgrößen von 100 Gramm beziehungsweise 1 Kilogramm, die eine bessere Vergleichbarkeit ermöglichen.

Keine Neufassung, sondern drei Aktualisierungen haben die Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse erfahren. Im Rahmen der Anpassung 2020 wurde die Beschreibung der Innereien, die schon 20 Jahre alt und durch die BSE-Krise geprägt war, verständlicher formuliert und zudem vervollständigt. In diesem Zusammenhang konnte der Begriff „sonstige Tierkörperteile“ gestrichen werden. Die dritte Aktualisierung der Leitsätze erfolgte 2021. Dabei wurde beispielsweise „Mortadella“ als Bezeichnung des Lebensmittels in die Leitsätze aufgenommen. Zudem wird klargestellt, dass auf Wiener Art zubereitete Schnitzel von anderen Tierarten als vom Kalb entsprechend gekennzeichnet werden, zum Beispiel als „Schweineschnitzel Wiener Art“. Gleiches gilt für Cordon bleu, falls dessen Fleisch nicht vom Kalb stammt – dieses wird beispielsweise als „Puten-Cordon bleu“ bezeichnet. Vielleicht erscheinen diese Aktualisierungen als unverhältnismäßig gering in Relation zu dem umfangreichsten Leitsatz des gesamten Lebensmittelbuches. Doch so ist das nicht! Gerade die Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse unterliegen einer kontinuierlichen Überarbeitung, so dass wir gespannt sein dürfen auf das, was noch kommt.

Ja, es kommt noch einiges auf uns zu. Gemäß § 3 Abs. 5 der Geschäftsordnung der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission überprüfen die Fachausschüsse innerhalb einer Berufungsperiode jeden Leitsatz auf Aktualität. Das Präsidium stellt dafür den Arbeitsplan auf. Die Berufungsperiode dauert üblicherweise 5 Jahre und wäre eigentlich am 30. Juni 2021 zu Ende gegangen. Nicht ganz die Hälfte der Kommissionsmitglieder wäre dann, mitunter altersbedingt, ausgeschieden. Weil begonnene Arbeiten auch aufgrund der erschwerten Situation durch die Corona-Pandemie nicht so schnell zum Abschluss gebracht werden konnten und es dabei auf die Erfahrung der Fachausschüsse in besonderem Maße ankommt, hat das BMEL die Berufungsperiode um ein Jahr verlängert. Auch die diesbezügliche Änderung der Geschäftsordnung finden Sie in dieser Buch-Ausgabe. Damit schließt sich der Kreis der eingangs aufgeführten zehn Änderungsveröffentlichungen.

Lassen Sie mich noch etwas zum Schluss anfügen, dass ich im Namen der gesamten Kommission sagen möchte: Wir haben uns über das vom BMEL durch die Verlängerung der Berufungsperiode ausgedrückte Vertrauen sehr gefreut. Fast alle Mitglieder – etliche davon bereits im Ruhestand – haben ihre Bereitschaft erklärt, ehrenamtlich die Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches im Sinne der Präambel aus der Geschäftsordnung der DLMBK weiterzuentwickeln. Es liegt uns viel daran, alle Marktbeteiligten – nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher – vor Irreführung und Täuschung zu schützen. Deshalb kümmern wir uns um Herstellung und Beschaffenheit sowie um alle sonstigen Merkmale, die wichtig sind für die Verkehrsfähigkeit der Lebensmittel, die wir im Deutschen Lebensmittelbuch beschreiben. Wir lesen die Bezeichnungen und Angaben auf den Verpackungen sehr genau und schauen akribisch auf Aufmachungen und bildliche Darstellungen der Produkte, damit wir erkennen können, was üblich ist. Wir befassen uns inzwischen auch ohne Änderungsanträge mit den Themen, die für die Beschreibung der Lebensmittel im DLMB von Bedeutung sind, und ändern die Leitsätze bei erkennbarem Bedarf.

Auch wenn die Leitsätze nur ein untergesetzliches Regelwerk darstellen, es lohnt sich als Hersteller und Händler, sich daran zu halten. Es lohnt sich auch für jeden von uns, einfach mal in den Leitsätzen zu schmökern. Man lernt immer etwas dazu. Daher freut es mich auch, wenn bei den vielen Quiz-Sendungen im Fernsehen immer öfter Fragen gestellt werden, deren Antworten im Deutschen Lebensmittelbuch zu finden sind. Also bevor Sie sich bei einer solchen Quiz-Sendung bewerben, vergessen Sie die Lektüre der Leitsätze nicht!

Ich wünsche Ihnen alles Gute, vor allem beste Gesundheit.



Die Vorsitzende der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission

Dr. Birgit Rehlender