Teil B

Wirkstoffe, die Mikroorganismen sind

EINLEITUNG ZU TEIL B

i)

Diese Einleitung zu Teil B ergänzt die Einleitung zum vorliegenden Anhang um spezifische Aspekte zu Wirkstoffen, die Mikroorganismen sind.

ii)

Für die Zwecke des Teils B gelten folgende Begriffsbestimmungen:

(1)

„Stamm“: genetische Variante eines Organismus auf seiner taxonomischen Ebene (Art), der aus den Abstammungslinien einer einzigen Isolierung in Reinkultur aus der Originalmatrix (z. B. der Umwelt) besteht und in der Regel eine Abfolge von Kulturen umfasst, die zuletzt aus einer ursprünglichen Einzelkolonie gewonnen wurden;

(2)

„koloniebildende Einheit“ („KBE“): Maßeinheit zur Schätzung der Anzahl von Bakterien- oder Pilzzellen in einer Probe, die unter kontrollierten Wachstumsbedingungen vermehrungsfähig sind, was dazu führt, dass sich eine oder mehrere Zellen reproduzieren und vermehren und eine einzige erkennbare Kolonie bilden;

(3)

„internationale Einheit“ („IE“): Menge eines Stoffs, der beim Test gemäß einem international anerkannten biologischen Verfahren eine spezifische Wirkung erzielt;

(4)

„mikrobieller Schädlingsbekämpfungswirkstoff wie hergestellt“ („MPCA wie hergestellt“): Ergebnis des Prozesses der Herstellung des/der als Wirkstoff in Pflanzenschutzmitteln vorgesehenen Mikroorganismus/Mikroorganismen, bestehend aus dem Mikroorganismus/den Mikroorganismen und etwaigen Additiven, Metaboliten (einschließlich bedenklicher Metaboliten), chemischen Verunreinigungen (einschließlich relevanter Verunreinigungen), kontaminierenden Mikroorganismen (einschließlich relevanter kontaminierender Mikroorganismen) sowie dem verbrauchten Medium/der Restfraktion aus dem Herstellungsprozess oder – im Fall eines kontinuierlichen Herstellungsprozesses, bei dem eine strikte Trennung zwischen der Herstellung des Mikroorganismus/der Mikroorganismen und dem Prozess der Produktion des Pflanzenschutzmittels nicht möglich ist – einem nicht isolierten Zwischenprodukt;

(5)

„Additiv“: Bestandteil, der dem Wirkstoff bei seiner Herstellung zugegeben wird, um die mikrobielle Stabilität zu bewahren und/oder die Handhabung zu erleichtern;

(6)

„Reinheit“: der im MPCA wie hergestellt vorhandene Gehalt des Mikroorganismus, ausgedrückt in einer relevanten Einheit, und der Höchstgehalt an bedenklichen Stoffen, sofern solche festgestellt wurden;

(7)

„relevanter kontaminierender Mikroorganismus“: im MPCA wie hergestellt unbeabsichtigterweise vorhandener pathogener/infektiöser Mikroorganismus;

(8)

„Stammkultur“: zur Herstellung des MPCA wie hergestellt oder des fertigen Pflanzenschutzmittels verwendete Starterkultur eines Mikrobenstamms;

(9)

„verbrauchtes Medium/Restfraktion“: aus verbleibenden oder umgewandelten Ausgangsmaterialien bestehender Anteil des MPCA wie hergestellt ohne den Mikroorganismus/die Mikroorganismen, der/die als Wirkstoff/e dient/dienen, und ohne bedenkliche Metaboliten, Additive, relevante kontaminierende Mikroorganismen und relevante Verunreinigungen;

(10)

„Ausgangsmaterial“: beim Prozess der Herstellung des MPCA wie hergestellt verwendete Stoffe wie Substrat und/oder eine Puffersubstanz;

(11)

„ökologische Nische“: ökologische Funktion einer bestimmten Art innerhalb der Lebensgemeinschaft oder des Ökosystems sowie die von ihr besiedelten physischen Räume;

(12)

„Wirtsspektrum“: Spektrum verschiedener biologischer Wirtsarten, die von einer Mikrobenart oder einem Mikrobenstamm infiziert werden können;

(13)

„Infektiosität“: Fähigkeit eines Mikroorganismus, eine Infektion zu verursachen;

(14)

„Infektion“: nicht opportunistisches Einführen oder Eindringen eines Mikroorganismus in einen empfindlichen Wirt, wo der Mikroorganismus in der Lage ist, sich zur Bildung neuer infektiöser Einheiten zu reproduzieren und im Wirt zu persistieren, und zwar ungeachtet dessen, ob der Mikroorganismus pathologische Wirkungen oder Krankheitszustände hervorruft;

(15)

„Pathogenität“: nicht opportunistische Fähigkeit eines Mikroorganismus, durch eine Infektion beim Wirt eine Verletzung zu verursachen und ihn zu schädigen;

(16)

„nicht opportunistisch“: Bedingung, unter der ein Mikroorganismus eine Infektion bewirkt oder eine Verletzung oder Schädigung verursacht, wenn der Wirt nicht durch eine Prädisposition geschwächt ist (z. B. Vorliegen einer auf eine andere Ursache zurückzuführenden Immunschwäche);

(17)

„opportunistische Infektion“: Infektion eines durch eine Prädisposition geschwächten Wirts (z. B. Vorliegen einer auf eine andere Ursache zurückzuführenden Immunschwäche);

(18)

„Virulenz“: der Grad an Pathogenität, den ein pathogener Mikroorganismus beim Wirt bewirken kann;

(19)

„Virulenzfaktor“: Faktor, der die Pathogenität/Virulenz eines Mikroorganismus fördert;

(20)

„bedenklicher Metabolit“: von dem zu bewertenden Mikroorganismus gebildeter Metabolit mit bekannter Toxizität oder bekannter relevanter antimikrobieller Aktivität, der im MPCA wie hergestellt in Mengen vorhanden ist, die ein Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt darstellen können, und/oder bei dem nicht angemessen begründet werden kann, dass die In-situ-Bildung des Metaboliten keine Relevanz für die Risikobewertung hat;

(21)

In-situ-Bildung“: Bildung eines Metaboliten durch einen Mikroorganismus nach Anwendung des Pflanzenschutzmittels, das diesen Mikroorganismus enthält;

(22)

„Hintergrundkonzentration eines Metaboliten“: wahrscheinlich vorhandene Konzentration eines Metaboliten in den relevanten Umweltkompartimenten in Europa (einschließlich anderer Quellen als Pflanzenschutz) und/oder in Lebens- und Futtermitteln (z. B. in essbaren Pflanzenteilen), wenn die Mikroorganismen in der Lage sind, zu wachsen, sich zu reproduzieren und in Anwesenheit eines Wirts oder bei Verfügbarkeit von Kohlenstoff- und Nährstoffquellen einen solchen Metaboliten zu bilden, wobei eine hohe Wirtsdichte und große Nährstoffmengen zu berücksichtigen sind;

(23)

„antimikrobielle Resistenz“ („AMR“): intrinsische oder erworbene Fähigkeit eines Mikroorganismus, sich in Anwesenheit eines antimikrobiellen Mittels in Konzentrationen, die für therapeutische Maßnahmen in der Human- oder Veterinärmedizin relevant sind, zu vermehren, wodurch das betreffende Mittel therapeutisch unwirksam wird;

(24)

„antimikrobielles Mittel“: Mittel mit antibakterieller, antiviraler, antimykotischer, anthelminthischer oder antiprotozoischer Wirkung, bei dem es sich um einen natürlich vorkommenden, halbsynthetischen oder synthetischen Stoff handelt, der in In-vivo-Konzentrationen Mikroorganismen abtötet oder ihr Wachstum hemmt, indem er mit einem spezifischen Ziel interagiert;

(25)

„erworbene antimikrobielle Resistenz“: nicht intrinsische, erworbene neuartige Resistenz, die einem Mikroorganismus das Überleben oder die Vermehrung in Anwesenheit eines antimikrobiellen Mittels ermöglicht, dessen Konzentration höher ist als die Konzentration, die eine Hemmung von Wildstämmen derselben Art bewirkt;

(26)

„intrinsische antimikrobielle Resistenz“: alle inhärenten Eigenschaften einer Mikrobenart, die die Wirkung antimikrobieller Mittel begrenzen und es ihr dadurch ermöglichen, in Anwesenheit der antimikrobiellen Mittel in Konzentrationen, die für ihre therapeutischen Verwendungen relevant sind, zu überleben und sich zu vermehren. Inhärente Eigenschaften von Mikroorganismen werden als nicht übertragbar betrachtet und können strukturelle Merkmale umfassen, zum Beispiel das Fehlen von Angriffspunkten für das Mittel, die Undurchlässigkeit von Zellhüllen, die Aktivität von Multidrug-Efflux-Pumpen oder die Aktivität metabolischer Enzyme. Ein Gen, das antimikrobielle Resistenz verleiht, gilt dann als intrinsisch, wenn es sich ohne mobiles genetisches Element auf einem Chromosom befindet und bei den meisten Wildstämmen derselben Art vorhanden ist;

(27)

„relevante antimikrobielle Aktivität“: antimikrobielle Aktivität, die durch relevante antimikrobielle Mittel hervorgerufen wird;

(28)

„relevante antimikrobielle Mittel“: alle für die therapeutische Verwendung bei Mensch oder Tier wichtigen antimikrobiellen Mittel gemäß der Beschreibung in den zum Zeitpunkt der Einreichung des Dossiers aktuellsten verfügbaren Fassungen

einer im Wege der Verordnung (EU) 2021/1760 der Kommission23 gemäß Artikel 37 Absatz 5 der Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates24 angenommenen Liste oder

der von der Weltgesundheitsorganisation erstellten Listen25 äußerst wichtiger antimikrobieller Wirkstoffe, sehr wichtiger antimikrobieller Wirkstoffe und wichtiger antimikrobieller Wirkstoffe für die Humanmedizin;

(29)

„Viroid“: jedes Agens einer Klasse infektiöser Agenzien, die aus kurzen Ketten RNA bestehen und nicht mit einem Protein assoziiert sind. Die RNA codiert nicht für Proteine und wird nicht in solche umgesetzt; sie wird vielmehr von Wirtszellenzymen repliziert;

(30)

„vorhergesagte Dichte in der Umwelt“: konservative Schätzung der Populationsdichte des Mikroorganismus im Boden oder im Oberflächenwasser bei Anwendung gemäß den Verwendungsbedingungen, berechnet anhand der maximalen Aufwandmenge und der maximalen jährlichen Anzahl von Anwendungen des Pflanzenschutzmittels, das den Mikroorganismus enthält.

iii)

Die Informationen aus der einem Peer-Review unterzogenen wissenschaftlichen Literatur gemäß Nummer 1.4 der Einleitung sind auf der relevanten taxonomischen Ebene des Mikroorganismus vorzulegen (z. B. Stamm, Art, Gattung). Es ist eine Erklärung dazu vorzulegen, weshalb die gewählte taxonomische Ebene für die betreffende Datenanforderung als relevant erachtet wird.

iv)

Darüber hinaus können auch andere verfügbare Informationsquellen, z. B. medizinische Berichte, angegeben und in einer Zusammenfassung vorgelegt werden.

v)

Falls angezeigt oder in den Datenanforderungen ausdrücklich genannt, sind die in Teil A beschriebenen Prüfleitlinien auch für diesen Teil anzuwenden, und zwar so angepasst, dass sie sich für im MPCA wie hergestellt vorhandene chemische Verbindungen eignen.

vi)

Werden Versuche durchgeführt, so ist gemäß Nummer 1.4 eine ausführliche Beschreibung (Spezifikation) des Versuchsmaterials und seiner Verunreinigungen vorzulegen. Untersuchungen unter Verwendung von im Labor oder in einer Pilotanlage hergestellten Mikroorganismen müssen mit dem MPCA wie hergestellt wiederholt werden, es sei denn, es kann nachgewiesen werden, dass das für die Zwecke der Versuche und der entsprechenden Bewertungen verwendete Versuchsmaterial im Wesentlichen das gleiche ist.

vii)

Handelt es sich bei dem Wirkstoff um einen genetisch veränderten Mikroorganismus, so ist eine Kopie der ausgewerteten Daten der Risikobewertung gemäß Artikel 48 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 vorzulegen.

viii)

Die Bewertung der Pathogenität und der Infektiosität der Mikroorganismen muss sich auf ein Verfahren zur Ermittlung der Beweiskraft stützen, wobei Folgendes zu berücksichtigen ist:

Untersuchungen an Tieren sind aufgrund der Unterschiede zwischen dem Menschen und Versuchstieren (z. B. Immunsystem, Mikrobiom) unter Umständen nicht immer zur Extrapolation auf den Menschen geeignet, und

Mikroorganismen können ein enges Wirtsspektrum haben, weshalb nicht immer davon auszugehen ist, dass ein Mikroorganismus, der bei den Versuchstieren keine Krankheit hervorruft, beim Menschen dasselbe bewirkt und umgekehrt.

ix)

Die Informationen zu dem Mikroorganismus müssen ausreichen, um eine Bewertung des Risikos im Hinblick auf eine antimikrobielle Resistenz zu ermöglichen.

x)

Bis validierte Methoden zum Testen einer durch Mikroorganismen hervorgerufenen Sensibilisierung der Haut und der Atemwege zur Verfügung stehen, sind alle Mikroorganismen als potenziell sensibilisierend zu betrachten.


23

Delegierte Verordnung (EU) 2021/1760 der Kommission vom 26. Mai 2021 zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates durch die Festlegung der Kriterien für die Bestimmung antimikrobieller Wirkstoffe, die der Behandlung bestimmter Infektionen beim Menschen vorbehalten bleiben müssen (ABl. L 353 vom 6.10.2021, S. 1).

24

Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über Tierarzneimittel und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/82/EG (ABl. L 4 vom 7.1.2019, S. 43).