2.2.2

Zweites Sachverständigengutachten (Artikel 35 der OCR)

In Artikel 35 Absatz 1 der OCR ist das Recht von Unternehmern festgehalten, auf eigene Kosten ein zweites Sachverständigengutachten einzuholen:

Artikel 35 der OCR

Zweites Sachverständigengutachten

(1) Die zuständigen Behörden gewährleisten, dass die Unternehmer, deren Tiere oder Waren Gegenstand von Probenahmen, Analysen, Tests oder Diagnosen sind, das Recht haben, auf eigene Kosten ein zweites Sachverständigengutachten einzuholen.

[…]

Dieses Recht erstreckt sich auf Probenahmen, Analysen, Tests oder Diagnosen, die im Rahmen amtlicher Kontrollen durchgeführt werden, und gilt nicht in Bezug auf andere amtliche Tätigkeiten. Durch das zweite Sachverständigengutachten werden die legitimen Rechte der Unternehmer gewahrt, insbesondere ihr Recht gemäß Artikel 7 der OCR, gegen die ergriffenen Maßnahmen Rechtsbehelfe einzulegen, indem es zu einer soliden, faktengestützten Grundlage beiträgt. Dieses Recht steht daher Unternehmern zu, an die sich die von der zuständigen Behörde getroffenen Maßnahmen richten.

Das Recht auf ein zweites Sachverständigengutachten berührt nicht die Verpflichtung der zuständigen Behörden, Sofortmaßnahmen zu treffen, um Risiken für die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen oder für den Tierschutz bzw. – sofern es sich um GVO und Pflanzenschutzmittel handelt – auch für die Umwelt auszuschalten oder zu begrenzen (Artikel 35 Absatz 4 der OCR).

Die zuständigen Behörden dürfen das Recht auf ein zweites Sachverständigengutachten nicht von der Zahlung einer Gebühr abhängig machen. Wie jedoch in Artikel 35 Absatz 1 der OCR eindeutig festgelegt, gehen die Kosten für ein zweites Sachverständigengutachten zulasten des Unternehmers.

Das Recht auf ein zweites Sachverständigengutachten setzt sich aus drei Elementen zusammen, die den Unternehmer berechtigen:

i)

eine Überprüfung der Unterlagen über die ursprünglichen Probenahmen, Analysen, Tests oder Diagnosen durch einen anerkannten und angemessen qualifizierten Sachverständigen zu beantragen (Artikel 35 Absatz 1 der OCR);

Artikel 35 der OCR

(1) […]

Das Recht auf ein zweites Sachverständigengutachten berechtigt den Unternehmer, eine Überprüfung der Unterlagen über Probenahmen, Analysen, Tests oder Diagnosen durch einen anderen anerkannten und angemessen qualifizierten Sachverständigen zu beantragen.

ii)

die zuständige Behörde zu ersuchen, bei der Probenahme eine ausreichende Probenmenge für eine zweite Analyse im Rahmen eines zweiten Sachverständigengutachtens zu entnehmen (Erwägungsgrund 48 und Artikel 35 Absatz 2 der OCR, vorbehaltlich der dort genannten Bedingungen). Dieses Element des zweiten Sachverständigengutachtens findet keine Anwendung bei Untersuchungen zur Feststellung von Quarantäneschädlingen in Pflanzen, Pflanzenerzeugnissen und anderen Gegenständen zu dem Zweck, die Einhaltung der Bestimmungen gemäß Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe g der OCR zu überprüfen (Artikel 35 Absatz 2 zweiter Satz);

Erwägungsgrund 48 der OCR

[…] Ein solches Recht sollte es dem Unternehmer ermöglichen, eine Überprüfung der Unterlagen über die ursprüngliche Probenahme oder Analyse, den ursprünglichen Test oder die ursprüngliche Diagnose durch einen anderen Sachverständigen sowie eine zweite Analyse, einen zweiten Test oder eine zweite Diagnose der ursprünglich ausgewählten Teile der Probenahme verlangen können, es sei denn, eine solche zweite Analyse bzw. ein solcher zweiter Test oder eine solche zweite Diagnose erweist sich als technisch nicht möglich oder unerheblich. Dies wäre vor allem dann der Fall, wenn die Prävalenz der Gefahr in den Tieren oder Waren besonders gering oder die Verteilung der Gefahr bei der Bewertung des Vorhandenseins von Quarantäneorganismen oder gegebenenfalls die Durchführung einer mikrobiologischen Analyse besonders schwach oder unregelmäßig ist.

Artikel 35 der OCR

[…]

(2) Sofern relevant, angemessen und technisch möglich und insbesondere unter Berücksichtigung von Prävalenz und Gefahrenverteilung unter den Tieren oder Waren, der Verderblichkeit der Proben oder Waren und der Menge des verfügbaren Substrats,

a)

tragen die zuständigen Behörden bei der Probenahme auf Ersuchen des Unternehmers dafür Sorge, dass eine ausreichende Menge für ein zweites Sachverständigengutachten und für die Überprüfung gemäß Absatz 3 entnommen wird, falls sich dies als erforderliche erweisen sollte, oder

b)

setzen die zuständigen Behörden den Unternehmer in dem Fall, dass sich keine ausreichende Menge gemäß Buchstabe a entnehmen lässt, hiervon in Kenntnis.

Dieser Absatz findet keine Anwendung bei Untersuchungen zur Feststellung von Quarantäneschädlingen in Pflanzen, Pflanzenerzeugnissen und anderen Gegenständen zu dem Zweck, die Einhaltung der Bestimmungen gemäß Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe g zu überprüfen.

iii)

die zuständige Behörde zu ersuchen, bei der Probenahme eine ausreichende Probenmenge für eine weitere Analyse durch ein anderes amtliches Laboratorium zu entnehmen, die auf Ersuchen des Unternehmers im Falle von Streitigkeiten aufgrund der ursprünglichen Analyse und des zweiten Sachverständigengutachtens durchgeführt wird, sofern dieses Recht im nationalen Recht vorgesehen ist (Artikel 35 Absatz 3 der OCR, vorbehaltlich der in Artikel 35 Absatz 2 der OCR genannten Bedingungen).

Artikel 35 der OCR

[…]

(3) Die Mitgliedstaaten können beschließen, dass der Unternehmer bei Streitigkeiten mit den zuständigen Behörden aufgrund des zweiten Sachverständigengutachtens gemäß Absatz 1 auf eigene Kosten eine Überprüfung der Unterlagen über die ursprünglichen Analysen, Tests oder Diagnosen und gegebenenfalls weitere Analysen, Tests oder Diagnosen durch ein anderes amtliches Laboratorium beantragen kann.

Sind in sektorspezifischen Rechtsvorschriften Bestimmungen für die Probenahme oder Analyse in einem bestimmten Bereich festgelegt, so haben diese Bestimmungen Vorrang vor den in Artikel 35 der OCR dargelegten Grundsätzen. Insbesondere kann in sektorspezifischen Rechtsvorschriften die Entnahme einer ausreichenden Menge für zusätzliche Proben oder die Einhaltung bestimmter Verfahren für die Gewinnung von Endproben vorgeschrieben sein. So sind beispielsweise in mehreren Rechtsakten der Union5, 6, 7 spezifische Verfahren vorgesehen, mit denen sichergestellt werden soll, dass eine ausreichende Menge entnommen wird, um repräsentative Proben für „Vollzugs-, Rechtfertigungs- und Schiedszwecke“ zu erhalten. Wurden sektorspezifische Vorschriften auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 882/20048 erlassen, gelten die entsprechenden Bestimmungen weiterhin, sofern sie nicht durch neue, im Rahmen der OCR erlassene Rechtsakte aufgehoben oder ersetzt wurden.

Soweit die Verfahren in den Rechtsvorschriften der Union nicht näher ausgeführt sind, obliegt es den Mitgliedstaaten, Vorschriften für Folgendes umzusetzen:

Qualifikationskriterien für den anerkannten und angemessen qualifizierten Sachverständigen in Bezug auf die Durchführung der Überprüfung der Unterlagen nach Artikel 35 Absatz 1 der OCR;

die Handhabung und Lagerung zusätzlicher Probenmengen, die zum Zweck einer zusätzlichen Analyse im Rahmen des zweiten Sachverständigengutachtens entnommen wurden;

die Nutzung der Ergebnisse der ursprünglichen Analyse, des zweiten Sachverständigengutachtens und gegebenenfalls einer zweiten amtlichen Analyse durch die zuständigen Behörden und die Unternehmer. Mit den in der OCR festgelegten Vorschriften soll u. a. sichergestellt werden, dass die Unternehmer über eine solide faktengestützte Grundlage verfügen, wenn sie ihr Recht auf Rechtsbehelf wahrnehmen wollen (Artikel 7 der OCR). Das Rechtsbehelfsverfahren selbst wird jedoch nicht durch die OCR, sondern durch nationale Vorschriften geregelt;

alle Fristen für die Ausübung des Rechts auf Überprüfung der Unterlagen, z. B. unter Berücksichtigung der Fristen, die für die einschlägigen Rechtsmittel auf nationaler Ebene vorgesehen sind, einschließlich des Rechts auf Rechtsbehelf.


5

Verordnung (EG) Nr. 333/2007 der Kommission vom 28. März 2007 zur Festlegung der Probenahmeverfahren und Analysemethoden für die amtliche Kontrolle des Gehalts an Blei, Cadmium, Quecksilber, anorganischem Zinn, 3-MCPD und Benzo(a)pyren in Lebensmitteln (ABl. L 88 vom 29.3.2007, S. 29).

6

Verordnung (EG) Nr. 401/2006 der Kommission vom 23. Februar 2006 zur Festlegung der Probenahmeverfahren und Analysemethoden für die amtliche Kontrolle des Mykotoxingehalts von Lebensmitteln (ABl. L 70 vom 9.3.2006, S. 12).

7

Verordnung (EG) Nr. 152/2009 der Kommission vom 27. Januar 2009 zur Festlegung der Probenahmeverfahren und Analysemethoden für die amtliche Untersuchung von Futtermitteln (ABl. L 54 vom 26.2.2009, S. 1).

8

Die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 165 vom 30.4.2004, S. 1) wurde am 14. Dezember 2019 durch die Verordnung (EU) 2017/625 aufgehoben.