April 2017

Herkunftsangaben vor Gericht – die Urteile des Jahres 2016

ANDREAS KIONTKE

April 2017. Anlässlich der ersten Ergänzungslieferung im Jahr 2017 möchte ich auf vier beachtenswerte Urteile des vergangenen Kalenderjahres hinweisen, die natürlich mit den kommenden Ergänzungslieferungen in Ihr „Praxishandbuch Herkunftsangaben“ eingearbeitet werden.

1) Das Oberlandesgericht München hat am 17. März 2016 unter dem Aktenzeichen 29 U 3187/15 entschieden, dass die Bezeichnung „Chiemseer“ für ein Bier aus Rosenheim gegen das herkunftsbezogene Irreführungsverbot aus § 127 Abs. 1 MarkenG verstößt. Zwischen Rosenheim und dem Chiemsee liegen mehr als 16 km Luftlinie und der nicht unbedeutende Fluss Inn, so dass die Verkehrserwartung enttäuscht wird, „Chiemseer“ würde eben am deutschlandweit bekannten See gebraut. Selbst der ebenfalls auf der Schauseite angebrachte ausdrückliche Hinweis auf das „Chiemgauer Brauhaus Rosenheim“ konnte diese Irreführung nicht entlokalisierend ausräumen, da die angesprochenen Verbraucher aus ganz Deutschland gar nicht genau wissen sollen, wo Rosenheim liegt und es deshalb fälschlich am Chiemsee vermuten würden.

2) Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte in 2016 die Frage zu beantworten, ob die angesprochenen Verkehrskreise durch die Bezeichnung „Himalaya Kristallsalz“ über dessen geografische Herkunft irregeführt werden, wenn das Produkt tatsächlich nicht in dem als „Himalaya“ bekannten Hochgebirgsmassiv abgebaut wird, sondern in den Minen der circa 200 km entfernten, deutlich niedriger gelegenen „Salt-Range“ in Pakistan. Diese Frage hat der BGH erwartungsgemäß bejaht. Den Einwand, dass diese Mittelgebirgsregion jedoch nach wissenschaftlichen Kriterien der Geologie und Geografie möglicherweise noch dem „Himalaya“ zuzurechnen sei, hat der BGH zu Recht nicht durchgreifen lassen, denn die Reichweite einer geografischen Herkunftsangabe bestimmt sich allein nach dem Verbraucherverständnis.

Überraschend – und für den vom BGH zu entscheidenden Streitfall völlig unerheblich – sind jedoch die weiteren Ausführung der Karlsruher Richter zur Rechtsnatur der §§ 126 ff. MarkenG. Mit der „Himalaya Salz“-Entscheidung wird die bisher (auch im „Praxishandbuch Herkunftsangaben“) vertretene Ansicht aufgegeben, bei den Vorschriften zum Schutz geografischer Herkunftsangaben nach §§ 126 ff. MarkenG handele es sich um wettbewerbsrechtliche Täuschungsschutzregelungen, die nur reflexartig die berechtigten Nutzer geografischer Herkunftsangaben individuell mitschützen. Die Karlsruher Richter sind nun der Ansicht, der Schutz geografischer Herkunftsangaben habe sich zu einem kennzeichenrechtlichen Schutz weiterentwickelt. Dieser Wechsel der Rechtskategorie der geografischen Herkunftsangaben dürfte jedoch lediglich von akademischer Relevanz sein. In der Praxis sind keine entscheidungserheblichen Auswirkungen zu erwarten.

3) Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich am 21. Januar 2016 zur Reichweite der für Apfel(brannt)wein geschützten geografischen Angabe (g.g.A.) „Calvados“ geäußert. Ausgangspunkt war die aus Finnland gestellte Vorlagefrage, ob die Bezeichnung „Verlados“ für einen aus dem finnischen Dorf „Verla“ stammenden Apfelwein, eine „widerrechtliche Anspielung“ auf die geschützte Angabe „Calvados“ im Sinne von Art. 16 lit. b der Verordnung (EG) Nr. 110/2008 darstellen kann. Dies haben die Luxemburger Richter insbesondere aufgrund der durch die Silbe „-ados“ vermittelten bildlichen und klanglichen vermittelten Ähnlichkeit im Ergebnis angenommen und dabei auch berücksichtigt, dass diese Silbe nicht zufällig gewählt worden war. Das Vorliegen einer „widerrechtlichen Anspielung“ werde insbesondere auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die finnischen Verbraucher das Dorf „Verla“ möglicherweise kennen und eine Verwechslungsgefahr zwischen den Produkten mit einerseits eindeutig finnischem und andererseits eindeutig französischem Ursprung ausgeschlossen sein kann. Zum einen sei auf die europäischen (nicht nur finnischen) Verbraucher abzustellen, zum anderen sperren die Vorschriften zum Schutz geografischer Angaben jegliche Anspielungen, selbst wenn der eigentliche Produktursprung erkennbar ist und Produktverwechslungen ausgeschlossen scheinen.

4) Während der EuGH die vorstehende Vorlage bereits in 2016 beantwortet hat, schlägt ein Vorlagebeschluss des BGH vom 2. Juni 2016 (Az. I ZR 268/14) den Bogen nach 2017. Heuer werden die Luxemburger Richter im Ergebnis zu klären haben, ob eine Tiefkühlspeise mit 12 % Champagner als „Champagner Sorbet“ bezeichnet werden darf. Die Ursprungsbezeichnung „Champagne“ (g.U.) ist nach Art. 103 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 für (Schaum)Wein gegen Ausnutzung ihres Ansehens (lit. a ii), gegen widerrechtliche Anspielungen (lit. b) und gegen irreführende Verwendung (lit. c) geschützt. Fraglich ist jedoch, wie weit der Schutz der vorgenannten Vorschriften reicht. Unterstellt man, dass die Bezeichnung „Champagner Sorbet“ feststehenden, deutschen Bezeichnungsgewohnheiten entspricht und in der so benannten Tiefkühlspeise auch Champagner in einer wesentlichen, die Produkt- und Geschmackseigenschaften bestimmenden Menge enthalten ist, gilt es letztlich abzuwägen, ob vor diesem Hintergrund ein berechtigtes Interesse an der (beschreibenden) Verwendung der geschützten Ursprungsangabe „Champagne“ anzuerkennen ist.