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Delegierte Verordnung (EU) 2024/1159 der Kommission zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates durch Festlegung von Bestimmungen über angemessene Maßnahmen, mit denen eine wirksame und sichere Anwendung von Tierarzneimitteln gewährleistet werden soll, die für die orale Verabreichung bzw. Anwendung auf anderem Wege denn als Arzneifuttermittel zugelassen und verschrieben wurden und vom Tierhalter an der Lebensmittelgewinnung dienende Tiere verabreicht werden

Vom 7. Februar 2024

(ABl. L 2024/1159 vom 19.4.2024)
nicht-amtliches Inhaltsverzeichnis

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION –

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über Tierarzneimittel und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/82/EG1, insbesondere auf Artikel 106 Absatz 6,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Die Verordnung (EU) 2019/6 zielt darauf ab, den Binnenmarkt zu harmonisieren und die Verfügbarkeit von Tierarzneimitteln zu verbessern und gleichzeitig das höchste Maß an Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier und der Umwelt zu gewährleisten. Insbesondere soll die Verbreitung antimikrobieller Resistenzen durch konkrete Maßnahmen eingedämmt werden, um gemäß dem Konzept „Eine Gesundheit“ eine umsichtige und verantwortungsvolle Verwendung antimikrobieller Wirkstoffe bei Tieren zu fördern.

(2)

Bestimmte Tierarzneimittel, die für die orale Verabreichung auf anderem Wege denn als Arzneifuttermittel zugelassen sind, können mit Risiken für die Gesundheit von Mensch und Tier sowie für die Umwelt verbunden sein. Ihre unsachgemäße Verabreichung oder Dosierung kann potenziell zu einer Verringerung der Wirksamkeit der Behandlungen, zur Entwicklung antimikrobieller oder antiparasitärer Resistenzen, zu einer unbeabsichtigten Verabreichung an Nichtzieltiere sowie zu Risiken für die Zieltiere, die Umwelt und die Verbraucher führen.

(3)

In Arzneifuttermittel einzuarbeitende Tierarzneimittel im Sinne der Verordnung (EU) 2019/4 des Europäischen Parlaments und des Rates2 fallen nicht in den Anwendungsbereich der vorliegenden Verordnung.

(4)

Gemäß Artikel 106 Absatz 6 der Verordnung (EU) 2019/6 hat die Kommission die wissenschaftlichen Empfehlungen der Europäischen Arzneimittel-Agentur vom 28. August 2020 zur wirksamen und sicheren Anwendung von Tierarzneimitteln, die für die orale Verabreichung über andere Wege als Arzneifuttermittel zugelassen sind3, berücksichtigt.

(5)

Tierarzneimittel, die für die orale Verabreichung auf anderem Wege denn als Arzneifuttermittel zugelassen und verschrieben wurden und vom Tierhalter an der Lebensmittelgewinnung dienende Tiere verabreicht werden, umfassen eine breite Palette von Produkten und Formulierungen. Während bestimmte Tierarzneimittel, z. B. Tabletten oder orale Lösungen für das Drenching, direkt und individuell an die Tiere verabreicht werden, müssen andere Tierarzneimittel dem Tränkwasser oder Futtermittel beigemischt werden und können den Einsatz von Geräten erfordern. Da die mit der oralen Verabreichung von Tierarzneimitteln durch Beimischung zum Tränkwasser oder zu Futtermitteln verbundenen Risiken größer sein können als bei anderen Darreichungsformen von Tierarzneimitteln, sind Maßnahmen zur Gewährleistung einer wirksamen und sicheren Anwendung erforderlich.

(6)

Diese Verordnung sollte daher für Tierarzneimittel gelten, die oral durch Beimischung oder Hinzufügen zu Futtermitteln verabreicht werden, sowie für die Beimischung von Tierarzneimitteln zu Tränkwasser oder flüssigen Futtermitteln durch den Tierhalter. Sie sollte nicht für die Beimischung von Tierarzneimitteln zu Futtermitteln durch Futtermittelunternehmer, unabhängig davon, ob diese in einer Futtermühle, als mobile Mischer oder als Hofmischer tätig sind, gelten (diese fällt unter die Verordnung (EU) 2019/4).

(7)

Die meisten Tierarzneimittel, die für der Lebensmittelgewinnung dienende Tiere zugelassen sind, unterliegen der tierärztlichen Verschreibungspflicht. Tierärzte sollten den am besten geeigneten Verabreichungsweg verschreiben. Bei der Erwägung eines oralen Verabreichungsweges sollten Tierärzte von Fall zu Fall die individuellen Umstände der zu behandelnden Tiere, die Einrichtungen, die Geräte und das Fachwissen der für die Verabreichung des Tierarzneimittels verantwortlichen Person berücksichtigen, die für die Gewährleistung der sicheren und wirksamen Anwendung von Tierarzneimitteln bei jeder Behandlung relevant sind.

(8)

Eine unsachgemäße Verabreichung oder Entsorgung von Tierarzneimitteln bzw. von Futtermitteln oder Tränkwasser, die bzw. das Tierarzneimittel enthalten bzw. enthält, könnte Risiken für die Umwelt mit sich bringen und zur Entwicklung, Selektion und Verbreitung antimikrobieller oder antiparasitärer Resistenzen beitragen. Um diese Risiken zu minimieren, sollten Tierärzte den Tierhaltern daher Informationen und Anweisungen im Einklang mit der Produktinformation des jeweiligen Tierarzneimittels zur Verfügung stellen.

(9)

Die orale Verabreichung von Tierarzneimitteln durch Aufbringen auf die Oberfläche fester Futtermittel oder durch Beimischung zu festen Futtermitteln unmittelbar vor der Verfütterung an Gruppen von Tieren, die alle um dasselbe Futter konkurrieren, birgt die Gefahr einer Unter- oder Überdosierung. Insbesondere bei Tierarzneimitteln, die antimikrobielle Wirkstoffe und Antiparasitika enthalten, kann dies zur Entwicklung und Verbreitung antimikrobieller und antiparasitärer Resistenzen beitragen. Daher sollte die Verschreibung und orale Verabreichung antimikrobieller oder antiparasitärer Tierarzneimittel durch Beimischung zu festen Futtermitteln oder die Verabreichung durch Aufbringen auf die Oberfläche fester Futtermittel unmittelbar vor der Verfütterung nur dann zulässig sein, wenn die Tiere einzeln gefüttert werden oder wenn die Aufnahme des Tierarzneimittels durch einzelne Tiere bei einer kleinen Gruppe von Tieren wirksam kontrolliert werden kann.

(10)

Die Verfügbarkeit von Tierarzneimitteln, der Zugang zu gemäß der Verordnung (EU) 2019/4 hergestellten Arzneifuttermitteln, die Notwendigkeit von Behandlungen kleiner Gruppen aufgrund lokaler Tierhaltungs- und Bewirtschaftungsverfahren sowie die nationale Politik zur umsichtigen Verwendung von Tierarzneimitteln können in der Union unterschiedlich sein. Daher sollte den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt werden, die Verschreibung und die orale Verabreichung antimikrobieller oder antiparasitärer Tierarzneimittel, die durch Beimischung zu festen Futtermitteln oder durch Aufbringen auf die Oberfläche fester Futtermittel unmittelbar vor der Verfütterung verabreicht werden, in ihrem Hoheitsgebiet weiter zu beschränken, und zwar ausschließlich auf einzeln gefütterte Tiere. Eine solche Beschränkung dürfte sich nicht negativ auf die Tiergesundheit oder das Tierwohl auswirken.

(11)

Wie aus den wissenschaftlichen Empfehlungen der Europäischen Arzneimittel-Agentur hervorgeht, ist in der Aquakultur eine individuelle Behandlung über feste Futtermittel nicht möglich. Die orale Behandlung über das Tränkwasser, die bei anderen Tierarten eine alternative Möglichkeit der oralen Behandlung darstellt, eignet sich ebenfalls nicht für die Aquakultur. Der Aquakultursektor ist in der Union sehr vielfältig und weist große Unterschiede in Bezug auf die Tierarten, die Tierhaltungs- und Bewirtschaftungsverfahren und die Größe der Betriebe auf. In einigen Mitgliedstaaten gibt es nur eine begrenzte Anzahl von Herstellern von Mischfuttermitteln für die Aquakultur, und gemäß der Verordnung (EU) 2019/4 hergestellte Arzneifuttermittel für die Gruppenbehandlung sind unter Umständen nicht sofort verfügbar.

(12)

In Fällen, in denen keine gemäß der Verordnung (EU) 2019/4 hergestellten Arzneifuttermittel zur Verfügung stehen oder in denen mit der Behandlung der Tiere vor der Lieferung des Arzneifuttermittels begonnen werden soll, würde ein Verbot der Verschreibung antimikrobieller und antiparasitärer Tierarzneimittel, die zur Gruppenbehandlung von der Lebensmittelerzeugung dienenden Wassertierarten festen Futtermitteln beigemischt werden sollen, zu Problemen in Bezug auf die Tiergesundheit und den Tierschutz führen. In diesen Fällen sollte eine solche Gruppenbehandlung daher zulässig sein.

(13)

Da die kombinierte Verwendung mehrerer antimikrobieller Tierarzneimittel ein besonderes Risiko im Hinblick auf die Entwicklung antimikrobieller Resistenzen darstellen kann, sollte die gleichzeitige orale Verabreichung mehrerer antimikrobieller Tierarzneimittel auf anderem Wege denn als Arzneifuttermittel eingeschränkt werden.

(14)

Um die wirksame und sichere Anwendung von Tierarzneimitteln zu gewährleisten, die zur oralen Verabreichung auf anderem Wege denn als Arzneifuttermittel verschrieben werden, sollten Tierhalter die Tierarzneimittel nur gemäß der tierärztlichen Verschreibung verwenden, die insbesondere auf der Diagnose, der Zieltierart und der Anzahl der zu behandelnden Tiere beruht.

(15)

Tierhalter sollten über die einschlägigen Fachkenntnisse und Fähigkeiten verfügen, um die wirksame und sichere Anwendung von Tierarzneimitteln zu gewährleisten, die zur oralen Verabreichung durch Beimischung zum Tränkwasser oder zu verschiedenen Arten von Futtermitteln zugelassen und verschrieben wurden.

(16)

Die für die orale Verabreichung von Tierarzneimitteln verwendeten Geräte und ihre Instandhaltung sollten die wirksame und sichere Anwendung der verschriebenen Tierarzneimittel bei den Zieltieren gewährleisten und die Gefahr einer Kontamination der Umgebung der Tiere und der Exposition der Umwelt verringern.

(17)

Die Eigenschaften des Tränkwassers, das zur Verabreichung von Tierarzneimitteln über das Tränkwasser verwendet wird, können sich auf die Löslichkeit und Haltbarkeit dieser Tierarzneimittel auswirken. Daher sollte der Tierhalter angemessene Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass das verwendete Tränkwasser für die orale Verabreichung des Tierarzneimittels geeignet ist.

(18)

Biozidprodukte, Futtermittelzusatzstoffe oder andere Stoffe, die gleichzeitig mit Tierarzneimitteln verwendet werden, die über Tränkwasser oder flüssige Futtermittel verabreicht werden, könnten zu Wechselwirkungen mit den Tierarzneimitteln führen oder deren Aufnahme, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit beeinträchtigen. Diese Produkte sollten nicht gleichzeitig mit Tierarzneimitteln verwendet werden, wenn in den Zulassungen der Tierarzneimittel Wechselwirkungen oder Inkompatibilitäten dokumentiert sind. Liegen keine Daten oder Informationen über diese Wechselwirkungen oder Inkompatibilitäten vor, sollte die Produktinformation einen entsprechenden Hinweis enthalten.

(19)

Gemäß Artikel 106 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2019/6 müssen Tierarzneimittel in Übereinstimmung mit den Zulassungsbedingungen angewendet werden. Daher sollten bestehende Zulassungen gegebenenfalls geändert werden, um die Kohärenz mit den Anforderungen dieser Verordnung zu gewährleisten. Damit soll die ordnungsgemäße Verschreibung durch Tierärzte und die ordnungsgemäße Verabreichung und Dosierung der Tierarzneimittel durch den Tierhalter sichergestellt werden.

(20)

Die lokalen Tierhaltungs- und Bewirtschaftungsverfahren können von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sein. Daher sollten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, auf nationaler Ebene weitere Leitlinien zu erstellen, die auf die Tierarten und Erzeugungssysteme in ihrem Hoheitsgebiet abgestimmt sind. Diese Leitlinien sollten zur wirksamen und sicheren Anwendung von Tierarzneimitteln beitragen, die zur oralen Verabreichung durch Beimischung zum Tränkwasser, durch Beimischung zu verschiedenen Arten von Futtermitteln oder durch Aufbringen auf die Oberfläche von Futtermitteln zugelassen und verschrieben wurden.

(21)

Um die Verfügbarkeit der betreffenden Tierarzneimittel nicht zu gefährden, müssen Übergangsmaßnahmen vorgesehen werden, damit den Zulassungsinhabern, den zuständigen Behörden oder, wenn das Tierarzneimittel im Rahmen des zentralisierten Zulassungsverfahrens zugelassen ist, der Kommission ausreichend Zeit eingeräumt wird, bestehende Zulassungen zu ändern, um die Kohärenz mit den Bestimmungen dieser Verordnung zu gewährleisten.

(22)

Der Geltungsbeginn dieser Verordnung sollte verschoben werden, um Tierärzten und insbesondere Tierhaltern genügend Zeit zu geben, sich auf die neuen Anforderungen dieser Verordnung einzustellen –

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:


1

ABl. L 4 vom 7.1.2019, S. 43, ELI: http://data.europa.eu/eli/reg/2019/6/oj.

2

Verordnung (EU) 2019/4 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Verwendung von Arzneifuttermitteln, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 183/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/167/EWG des Rates (ABl. L 4 vom 7.1.2019, S. 1, ELI: https://eurlex.europa.eu/eli/reg/2019/4/oj).

3

Advice on implementing measures under Article 106 (6) of Regulation (EU) 2019/6 on veterinary medicinal products – scientific problem analysis and recommendations to ensure a safe and efficient administration of oral veterinary medicinal products via ro utes other than medicated feed (https://food.ec.europa.eu/system/files/2020-09/ah_vet-med_imp-reg-2019-06_ema-advice_del_art-106-6.pdf).