Der Codex Alimentarius ist eine Sammlung von in einheitlicher Form dargebotenen internationalen Lebensmittelstandards. Diese Standards werden von der Codex-Alimentarius-Kommission, die als Urheberin des Codex Alimentarius gilt, auf ihrer jährlichen Vollversammlung verabschiedet. Die Codex-Alimentarius- Kommission wurde 1962 als gemeinsames Organ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) gegründet. Sie umfasst heute 186 Mitglieder, die den größten Teil der Weltbevölkerung repräsentieren. Sämtliche Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind Mitglieder des Codex Alimentarius, wodurch gewährleistet wird, dass innerhalb der EU die in den Codex-Gremien einzunehmende Haltung möglichst einheitlich vertreten wird.

Oberstes Ziel, das durch die Ausarbeitung der Codex-Texte verfolgt wird, ist der Schutz der menschlichen Gesundheit und die Sicherstellung fairer Handelspraktiken im Sinne des lauteren Wettbewerbs und des Täuschungsschutzes im Lebensmittelverkehr. Die Standardtexte werden von 31 nachgeordneten Gremien der Codex-Alimentarius-Kommission ausgearbeitet. Das sind horizontale Komitees für allgemeine und produktübergreifende Fragen und vertikale oder Warenkomitees für einzelne Erzeugnisse. Zeitlich begrenzt befassen sich zwischenstaatliche ad-hoc-Arbeitsgruppen mit speziellen Themen wie z. B. Biotechnologie, Tierfütterung und Antibiotikaresistenz. Die Komitees kommen ein Mal jährlich zusammen, und ihre Mitglieder arbeiten gemeinsam mit Vertretern von mehr als 220 Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, die als Beobachter teilnehmen, in einem 8-Stufen-Verfahren die Codex-Standards und verwandten Texte aus (siehe A I–1 Verfahrenshandbuch, 19. Ausgabe, S. 29 ff.).

Diese Texte werden in Form von Lebensmittelstandards, Verfahrensleitsätzen, Richtlinien, Empfehlungen und zulässigen Höchstwerten für Zusatzstoffe und Kontaminanten, Pestizid- und Tierarzneimittelrückstände veröffentlicht. Ihre Anwendung auf nationaler und regionaler Ebene erfolgt auf freiwilliger Basis und hat keinen verpflichtenden Charakter. Die Standards sind als Empfehlungen für die Mitgliedstaaten zu verstehen und stellen einen weltweiten Konsens zu einem ernährungsspezifischen Themenkreis dar und haben demzufolge einen Modellcharakter für die nationale Lebensmittelrechtssetzung. Darüber hinaus hat ihre Bedeutung durch den ausdrücklichen Verweis auf die 1994 gegründete Welthandelsorganisation (WTO) zugenommen, die die Umsetzung von mehr als 20 Handelsabkommen überwacht. Dazu gehört im Bereich des Lebensmittelhandels neben dem „Übereinkommen über technische Handelshemmnisse“ (TBT-Übereinkommen) auch das SPS-Übereinkommen über die Anwendung von sanitären und phytosanitären Maßnahmen, in dem die Codex-Standards als Referenz für die Verkehrsfähigkeit von Lebensmitteln dienen. Danach gelten gesundheitspolizeiliche Maßnahmen der Mitgliedstaaten mit handelsbeschränkender Wirkung ohne weitere Prüfung als WTO-konform, wenn sie auf dem in den Codex-Standards festgelegten Schutzniveau beruhen. Also sind die WTO-Mitglieder dazu verpflichtet, die Standards anzuwenden, es sei denn, einige Mitglieder wünschen für den Gesundheitsschutz strengere Normen, deren Rechtmäßigkeit dann wissenschaftlich zu beweisen ist. Im Handelskonfliktfall werden dann die Codex-Standards im völkerrechtlich verbindlich geschaffenen WTO-Streitbeilegungsverfahren im Rahmen der „Vereinbarung zur Beilegung von Streitigkeiten“ (Dispute Settlement Understanding) als Referenz herangezogen und spielen eine maßgebliche Rolle. Dieser Vereinbarung innerhalb der WTO kommt eine ähnliche Schlichtungsbedeutung zu wie dem Europäischen Gerichtshof für die EU.

Zusätzlich zu ihrer Referenzfunktion in der WTO erfahren die Arbeiten des Codex Alimentarius eine permanente Aufwertung, indem seine auf die Gewährleistung der Abgabe sicherer Lebensmittel abzielenden Standards zunehmend die Grundlage für die nationale und EU-weite Normsetzung bilden. Ende 2003 ist die Europäische Gemeinschaft nach langer Funktion als Beobachter Vollmitglied des Codex Alimentarius geworden.

Dadurch wird es nunmehr möglich, die Positionen der EU-Mitgliedstaaten in den harmonisierten Lebensmittelbereichen zu koordinieren und als einzige Stellungnahme bei der Erörterung neuer oder revidierter Standards in den verschiedenen Komitees und in der Vollversammlung der Codex-Alimentarius- Kommission einzubringen und somit die endgültige Verabschiedung der Codex-Texte zu beschleunigen.

Die Mitwirkung der EU an den Sitzungen des Codex Alimentarius, d. h. in den Codex-Komitees und -Task Forces, erfolgt nach einem festen Schema der Kompetenzverteilung, wobei bei Tagesordnungspunkten, die ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fallen, die Mitgliedstaaten allein abstimmen. Generell besitzt die EU die ausschließliche Zuständigkeit für Tagesordnungspunkte in den Bereichen Harmonisierung der Normen für bestimmte Agrarprodukte, Lebensmittel, Lebensmittelzusatzstoffe, Kontaminanten, Tierarzneimittel, Pestizide, Fisch und Fischereierzeugnisse einschließlich Etikettierung, Analyse- und Probenahmeverfahren sowie Kodizes und Leitlinien für Hygieneverfahren, soweit die Gemeinschaftsvorschriften diese Bereiche ganz oder weitgehend harmonisiert haben, sowie für Fragen des internationalen Handels, soweit sie die Ziele der Codex-Alimentarius- Kommission und insbesondere den Schutz der öffentlichen Gesundheit und faire Praktiken im Lebensmittelhandel betreffen.

Die EU-Mitgliedstaaten sind darüber hinaus generell zuständig für Tagesordnungspunkte, die organisatorische Fragen (rechtliche und budgetäre) und Verfahrensfragen (Wahl der Vorsitzenden, Annahme von Tagesordnungen und Berichten) betreffen.

Die EU und ihre Mitglieder sind in folgenden Bereichen grundsätzlich beide zuständig, soweit die betreffenden geplanten Maßnahmen in den Tätigkeitsbereich des Codex Alimentarius fallen und die Gemeinschaft in diesen Bereichen harmonisierungsberechtigt ist, die Harmonisierung jedoch erst teilweise erfolgt ist: Agrarpolitik, Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften für den Schutz des Lebens und die Gesundheit von Tieren und Pflanzen, gesundheitspolitische Maßnahmen, Forschung und Technologie, Umwelt und Entwicklungspolitik.

Generell gilt der Grundsatz, dass nach dem Konsensprinzip abgestimmt wird. Der Konsensgrundsatz, d. h. dass in der Regel alle Mitgliedstaaten mit den getroffenen Vereinbarungen einverstanden sein müssen, wird von allen Teilnehmern der Sitzungen verfolgt, um die Anwendung der Standards voranzutreiben, deren Verabschiedung nach dem 8-Stufen-Verfahren etwas langwierig ist.

Da die Umsetzung der Codex-Texte dann in der Regel weltweit erfolgt, ist dafür gesorgt, dass das erreichte hohe Niveau der Qualität und Unbedenklichkeit von Lebensmitteln gewahrt bleibt und ggf. verbessert wird. Dieses ist angesichts weltweiter Lebensmittelkrisen unerlässlich und wird durch die Einhaltung der strengen Regeln der Codex-Standards, insbesondere der Bestimmungen über die Risikoanalyse und die Rückverfolgbarkeit, unterstützt. Somit wird die Sicherheit der Erzeugnisse in allen Stufen der Lebensmittelkette auf globaler Ebene gewährleistet.

Die vorliegende deutsche Fassung des Codex Alimentarius ist eine wortgetreue und oft zeitgleiche Übersetzung aller wesentlichen Texte ins Deutsche. Die Arbeitssprache in den Codex-Sitzungen ist meistens Englisch; alle Texte werden in den Amtssprachen Englisch, Französisch, Spanisch, Arabisch und Chinesisch veröffentlicht, demnächst wird auch Russisch zu den Amtssprachen zählen. Alle Codex-Texte sind im Internet abrufbar unter:

http://www.codexalimentarius.org

Bonn, im September 2014

Sabine Nieslony

Herausgeberin