Oktober 2017

Obacht Obazda!

Tobias Teufer

Oktober 2017. Die Aufregung ist groß bei den tüchtigen bayrischen Gastwirten. Gerade hatte man noch voller Stolz die Berichterstattung darüber verfolgt, dass ein bayrisches Kulturgut wie der „Obazda“, in dieser Schreibform, aber auch in der Variante „Obatzter“, als geschützte geografische Angabe (g.g.A.) EU-weit registriert worden ist. Doch nun erscheint offenbar vermehrt die bayrische Lebensmittelüberwachung in Gasthäusern, die ihren Obatzten noch selbst herstellen. Glaubt man den Medienberichten, dann stößt das nicht überall auf Begeisterung. Denn neben den Zusatzkosten für die Sonderüberwachung der Herstellung von Lebensmitteln mit einer geschützten geografischen Angabe wird auch die Zusammensetzung der beliebten Käsespezialität genauestens überprüft.

Das ist die Kehrseite des europaweiten Schutzes regionaler Lebensmittel, die häufig auf eine lange kulinarische Tradition zurückblicken. Juristen wollen wissen, was genau geschützt sein soll und wo der Schutz endet. Deshalb hat der europäische Gesetzgeber den Schutz geografischer Angaben an eine formale Spezifikation gekoppelt, aus der sich die Zusammensetzung von Lebensmitteln mit der geschützten Bezeichnung und weitere Parameter wie ein Qualitätszusammenhang mit der regionalen Herstellung ergeben. Nur wer sich daran hält, kann überhaupt in den Genuss des Bezeichnungsschutzes kommen. So ist es nun auch beim „Obazda“, auf den eigentlich kein ernstzunehmender bayrischer Biergarten in der Freiluftsaison verzichten kann.

Nun müssen in den Küchen also die Rechenschieber herausgeholt und Notizbücher befüllt werden. Auf der Grundlage des bayerischen Antrags zur Eintragung einer geografischen Angabe schützt die EU zukünftig als „Obazda“ bzw. „Obatzter“ Leckereien mit folgenden verpflichtenden Zutaten: mindestens 40 % Prozent Camembert oder Brie, wahlweise ergänzt durch Romadur, Limburger oder Frischkäse; hinzu kommen Butter, Salz und Paprikapulver oder-extrakt. Insgesamt müssen es mindestens 50 % Käse sein. Was sonst noch erlaubt ist: Zwiebeln, Kümmel, Gewürze, Kräuter, Rahm, Milch und ‒ natürlich ‒ Bier.

Na denn, Prost! könnte man meinen. Denn mit der weiteren Vorgabe, dass die genannten Zutaten ausschließlich auf bayrischem Staatsgebiet zum „Obazda“ zusammengefügt werden dürfen, haben bayrische Gaststätten die geringsten Probleme (und welcher Preuße würde schon auf die Idee kommen, bayrisches Kulturgut außerhalb des Freistaates anzurichten?). Aber wohin mit kreativen Eigenschöpfungen, die etwas weniger als 50 % Käse enthalten? Und braucht der gestresste Gastronom tatsächlich noch mehr bürokratischen Aufwand, ganz zu schweigen von den Kosten bei Zertifizierung und Kontrolle?

Gastwirt wird nicht, wer nicht improvisieren kann. Über Anpassungsstrategien wird bereits berichtet. Die einen nehmen die Aufregung über den „Obatzten“ zum Anlass, Rationalisierungsschritte umzusetzen: Wer den geschützten „Obazda“ fertigverpackt aus großen bayrischen Werken bezieht, kann ihn selbstverständlich als solchen auch auf die eigenen Teller bringen. Andere erfinden einfach neue Namen: Die Nürnberger Nachrichten sprechen vom „Brezenkaas“ oder einer „Bier-Kaas-Creme“ (Franken halt). Dann doch lieber „Gerupfter“. Man sieht: Nicht immer lassen sich die Interessen der Hersteller industrieller Lebensmittel und die Speisekarten regionaler Gastwirtschaften in harmonischen Einklang bringen.