November 2018

Wer glaubt denn noch an Märchen?

Andreas Kiontke

November 2018. „A whole new world opens when enjoying Neuschwansteiner [beer]. Brewed after the time-honoured ‘Méthode Royale’, Neuschwansteiner [beer] effortlessly, and deliciously, combines tradition, innovation and royal heritage – while renewing the myth of the iconic castle and its charismatic builder.”

Ein luxuriöses Bier mit der Bezeichnung Neuschwansteiner, gebraut nach althergebrachter, königlicher Methode, abgefüllt in Champagnerflaschen, mehrfach auch bildlich verziert mit einer siegelhaften Abbildung des Schlosses Neuschwanstein, verpackt in edlen Faltkartons, verkauft für märchenhafte 39,50 Euro pro 0,75L-Flasche – was klingt wie ein Marketingmärchen rund um das weltberühmte Märchenschloss des charismatischen Märchenkönigs – ist es auch! Hergestellt und abgefüllt wird das Gebräu nämlich nicht innerhalb der Mauern von Schloss Neuschwanstein oder wenigstens einem seiner Neben- und Wirtschaftsgebäude, sondern im deutlich weniger royalen Umfeld der Städte Schwangau und Memmingen.

Doch trotz der zahlreichen und expliziten Hinweise, die eine Herkunft des Neuschwansteiner Bieres eben vom gleichnamigen Schloss nahelegen, sah das Oberlandesgericht München in einem Urteil vom 1.2.2018 (Az. 29 U 885/17) keine Veranlassung, die weitere Erzählung des Neuschwansteiner Herkunftsmärchens zu unterbinden. Nach Auffassung der Münchener Richter löse die Verwendung der Bezeichnung Neuschwansteiner für Bier keine Fehlvorstellung über die geografische Herkunft eines nicht auf dem gleichnamigen Schloss gebrauten Bieres aus. Den angesprochenen Verkehrskreisen sei Schloss Neuschwanstein traditionell als Museum und weltweite Touristenattraktion bekannt, nicht aber für das Brauen von Bier. Es bestehe für die Verbraucher kein Anlass, an derart exponierter und ungeeigneter Stelle auf einem Hügel eine Brauerei zu vermuten. Vielmehr würde die überaus exklusive Gesamtausstattung des Neuschwansteiner Bieres nur ein allgemeines „königliches Luxusimage vermitteln“, ohne dabei auf die konkrete Lage des Brauhauses Bezug zu nehmen. Mit anderen Worten: Wer bereit ist, über 25 Euro für eine Halbe auszugeben, dem geht es nicht um die Herkunft dieses Edel-Bieres, sondern gerade und ausschließlich um den hohen Preis. Lebensmittelunternehmer, die ungestraft Märchen erzählen wollen, müssen diese danach einfach teuer verkaufen!

Gleichwohl, Lebensmittelunternehmer, die Verbrauchertäuschungen über die geografische Herkunft eines Lebensmittels und die damit einhergehenden rechtlichen Risiken vermeiden möchten, sollten Bezugnahmen auf geografische Orte vermeiden, wenn diese zur Herstellung des Lebensmittels faktisch keinerlei Bezug aufweisen. In vielen Fällen werden die angesprochenen Verkehrskreise nämlich keinen Anlass haben, in einer Bezugnahme auf einen realen geografischen Ort etwas anderes zu verstehen als eben einen Hinweis auf die geografische Herkunft des Lebensmittels (Kap. III.3 Rn. 24 ff., 32). Das OLG München selbst hat im Fall eines (allerdings deutlich preiswerteren) „Chiemseer“-Bieres ganz selbstverständlich angenommen, dass die angesprochenen Verkehrskreise erwarten würden, dass ein so bezeichnetes Bier am Ufer des bekannten Chiemsees gebraut werde und im Fall die Bezeichnung verboten, da das streitgegenständliche Bier tatsächlich (wie auf dem Etikett sogar angegeben war) im 16 km entfernten Rosenheim gebraut wurde (Kap. III.3 Rn. 50).

Selbst solche problemlos möglichen, entlokalisierenden Hinweise auf die tatsächlichen Brau- und Abfüllorte sucht man auf der Produktausstattung des „Neuschwansteiner“-Bieres aber vergeblich. Weiterhin erscheint der Schluss der Münchener Richter, dass auf einem bekannten Schloss keine Brauerei vermutet werde, keinesfalls zwingend. Im Gegenteil: Es dürfte den Verbrauchern sehr wohl bekannt sein, dass es in Deutschland zahlreiche Schlossbrauereien gibt und Brauereien – Stichwort: Craft-Beer – schließlich nicht (mehr) zwingend riesige Industrieanlagen erforderlich machen, erst recht nicht, wenn das Bier offenkundig nur in exklusiver und hochpreisiger Auflage hergestellt wird. Die findigen Marketingmärchenerzähler aus Schwangau und Memmingen muss dies vor dem Hintergrund „ihres“ Urteils freilich wenig kümmern…

… und so brauen Sie glücklich und zufrieden „Neuschwansteiner“ bis an ihr Lebensende.

Nicht ganz: Immerhin die angepriesene „time-honoured Méthod-Royal“ entlarvten die Münchener Richter als Marketingmärchen und untersagten die dahingehende Bewerbung. Durch die Formulierung würde der unzutreffende Eindruck einer besonderen, geradezu königlichen Herstellungsmethode erweckt. Tatsächlich genutzt würde jedoch lediglich eine „Braumethode zur Herstellung eines gewöhnlichen untergärigen Märzenbiers, das viele bayerische Brauereien zu einem Halbliterpreis von unter einem Euro im Handel anbieten.