September 2019

Novellierung der Fertigpackungs­verordnung

Danja Domeier

September 2019. Im Bereich der Lebensmittelinformation gibt es zahlreiche Themen, die auch knapp fünf Jahre nach Geltung der LMIV nicht an Brisanz verloren haben und Anlass zu Diskussionen geben. Zu denken ist hier etwa an die Nährwertdeklaration, die Information über Allergene oder an die Angabe der Herkunft primärer Zutaten. Vermehrt in den Fokus getreten ist in letzter Zeit auch die Angabe der Nettofüllmenge. Zu denken ist hier neben der Rechtsprechung der Frankfurter Gerichte in Sachen „Rafaello“ insbesondere auch an Beanstandungen der Einberechnung von nicht zum Verzehr geeigneten Materialien in die angegebene Nettofüllmenge durch Behörden. Des Weiteren liegt bereits seit dem Jahr 2018 der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie über eine Verordnung zur Novellierung des Fertigpackungsrechts vor. Kern dieses Entwurfs ist eine Neuregelung der Fertigpackungs­verordnung (nachfolgend „FPV-Entwurf“).

Eine Novellierung der Fertigpackungs­verordnung ist nach der Amtlichen Begründung „erforderlich, um das Fertigpackungsrecht übersichtlicher zu gestalten und an europäische Entwicklungen und nationale Änderungen im Mess- und Eichrecht anzupassen“. Neben einer zu mehr Transparenz führenden Modernisierung der Struktur der bisher geltenden Fertigpackungs­verordnung sollen durch den vorliegenden Entwurf auch „veraltete Begrifflichkeiten“ aktualisiert werden. Über eine besondere Brisanz verfügt die Feststellung des Verordnungsgebers, dass die LMIV „in der Europäischen Union die Kennzeichnung von vorverpackten Lebensmitteln, die für den Endverbraucher bestimmt sind, unmittelbar“ regelt. Denn hieran wird im Folgenden die Ankündigung geknüpft, dass nationale Vorschriften in diesem Bereich zu streichen sind, um künftig „Doppelregelungen“ zu vermeiden.

Dieses Vorhaben wird betroffene Unternehmen vor praktische Herausforderungen stellen, mit nicht unerheblichen Kosten verbunden sein und insbesondere auch beim Verbraucher zu Irritationen führen sowie verdeckte Preiserhöhungen begünstigen. Aufgrund dieser zu erwartenden Nachteile stellt sich die Frage, warum nun bestimmte nationale Sonderregelungen offensichtlich nach einer „180°-Drehung“ des Verordnungsgebers und letztlich ohne Not gestrichen werden sollen. Denn erst vor knapp fünf Jahren hatte die Bundesregierung von der nach Art. 42 LMIV eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, bezüglich der Angabe der Nettofüllmenge nationale Vorschriften zu erhalten. Konkret hatte das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft der Europäischen Kommission fristgemäß bis zum 13. Dezember 2014 mitgeteilt, dass folgende Vorschriften der Fertigpackungs­verordnung gemäß Art. 42 LMIV national aufrechterhalten werden sollten:

§ 6 Abs. 4 FPV (Fertigpackung aus verschiedenen Erzeugnissen),

§ 6 Abs. 5 FPV (Sammelpackung),

§ 7 Abs. 1 FPV (Fertigpackung mit Erzeugnissen in Aerosolform),

§ 7 Abs. 2 FPV (Ausnahmen von der Angabe nach Gewicht oder Volumen gemäß bestehendem Handelsbrauch),

§ 8 FPV (Stückzahlangabe bei bestimmten Lebensmitteln in Fertigpackungen),

§ 10 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 - 6, Satz 2 FPV (Befreiung von der Füllmengenangabe) und

§ 33a Nr. 3 FPV (keine Füllmengenangabe bei Gratisproben).

Von den zuvor aufgelisteten Vorschriften sollen die bisherigen Regelungen in §§ 7, 8 und 10 FPV künftig in §§ 18, 19 und 20 FPV-Entwurf geregelt werden. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang § 42 FPV-Entwurf, der insoweit vorschreibt, dass die künftig in §§ 18, 19 und 20 FPV-Entwurf festgelegten Regelungen zu Ausnahmen von der Angabe nach Gewicht oder Volumen gemäß bestehendem Handelsbrauch, zur Möglichkeit der Stückzahlangabe bei bestimmten Lebensmitteln in Fertigpackungen und zur Befreiung bestimmter Lebensmittel von der Füllmengenangabe nur noch „bis zum Ablauf des 31. Dezember 2020 angewendet werden“ können, ohne dass aktuell eine Abverkaufs- oder Aufbrauchfrist vorgesehen ist. Da die Verordnung nach wie vor nur als Entwurf vorliegt, ist davon auszugehen, dass sich das in § 42 FPV-Entwurf festgelegte Datum zeitlich in die Zukunft verschieben wird. Nicht absehbar ist zum aktuellen Zeitpunkt, wie weit sich die vom Verordnungsgeber gewollte Abschaffung der bisher in §§ 7, 8 und 10 FPV geregelten Ausnahmen verschieben wird und ob die in § 42 FPV-Entwurf getroffene Regelung noch um eine Aufbrauchs- oder Abverkaufsfrist ergänzt wird. Letzteres ist sicherlich zweckmäßig, wenn nicht sogar erforderlich und angemessen, um unverhältnismäßige Nachteile für betroffene Lebensmittelunternehmer zu vermeiden.

Doch welche Unternehmen sind überhaupt betroffen, was bedeutet die geplante Abschaffung nationaler Sonderregelungen konkret und wird das Ziel einer Abschaffung von Doppelregelungen durch die künftige Streichung der bisher in §§ 7, 8 und 10 FPV festgelegten nationalen Sonderregelungen tatsächlich konsequent verfolgt?

Von dem geplanten Wegfall nationaler Sonderregelungen sind grundsätzlich alle Lebensmittelunternehmer betroffen, die die Angabe der Nettofüllmenge aktuell nach §§ 7 oder 8 FPV vornehmen oder die gemäß § 10 FPV von einer Füllmengenangabe befreit sind. Dies sind etwa die Hersteller von Speiseeis, Honig, Milcherzeugnissen, Feinkostsoßen, Senf oder auch von bestimmten Süßwaren. Konkret sind aktuell zum Beispiel Honig, bestimmte Milcherzeugnisse, Essigessenzen und Würzen gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 FPV nach Gewicht zu kennzeichnen, während die Füllmenge etwa bei Feinkostsoßen, Senf und Speiseeis gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 FPV nach Volumen anzugeben ist. Nach § 8 Abs. 2 FPV darf die Stückzahl bei figürlichen Zuckerwaren, figürlichen Schokoladenwaren (ausgenommen Pralinen) und Dauerbackwaren mit einem Einzelgewicht von mehr als 5 g und weniger als 100 g ebenso angegeben werden wie bei Kaugummi, Kaubonbons und Schaumzuckerwaren, deren Füllmenge weniger als 100 g beträgt. Bei Fertigpackungen mit Süßstofftabletten ist die Stückzahl gemäß § 8 Abs. 3 FPV anzugeben. Von der Füllmengenkennzeichnung befreit sind nach § 10 FPV etwa Speiseeis mit einer Füllmenge von 200 ml oder weniger sowie Fertigpackungen mit Zuckerwaren, aus Mandeln, Nüssen und sonstigen Ölsamen hergestellten Erzeugnissen, mit Dauerbackwaren und Knabbererzeugnissen mit einer Füllmenge von weniger als 50 g oder Fertigpackungen mit Zucker mit einer Füllmenge von weniger als 20 g.

Entfallen die aktuell in §§ 7, 8 und 10 FPV – künftig in §§ 18, 19 und 20 FPVEntwurf – geregelten nationalen Sonderregelungen, gelten grundsätzlich die sich aus Art. 23 LMIV ergebenden Vorgaben. Danach ist die Nettofüllmenge eines Lebensmittels in Litern, Zentilitern, Millilitern, Kilogramm oder Gramm auszudrücken und zwar in Abhängigkeit davon, was jeweils angemessen ist, bei flüssigen Erzeugnissen in Volumeneinheiten und bei sonstigen Erzeugnissen in Masseeinheiten.

Beim Beispiel „Speiseeis“ wird der vorgesehene Wegfall der aktuell in § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b) FPV geregelten Angabe der Nettofüllmenge nach Volumen wohl dazu führen, dass die entsprechende Füllmengenangabe künftig nach Gewicht zu erfolgen hat. Denn das verzehrfertige Speiseeis wird eher von fester als von flüssiger Konsistenz sein. Problematisch ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass sich der LMIV und dem FPV-Entwurf weder Beurteilungskriterien entnehmen lassen, wann von einem flüssigen und wann von einem festen Lebensmittel auszugehen ist, noch Aussagen zum Aggregatzustand von Speiseeis.

Eine Befreiung von der Füllmengenangabe bei Speiseeis mit einer Füllmenge von 200 ml oder weniger wird nach Wegfall der aktuell noch in § 10 Abs. 2 Nr. 5 FPV festgelegten und künftig in § 20 Abs. 2 Nr. 5 FPV-Entwurf vorgesehenen Regelung nicht mehr möglich sein.

Auch bei Senf kann bzw. wird der Wegfall der aktuell in § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a) FPV festgelegten nationalen Sonderregelung bedeuten, dass die Nettofüllmenge künftig nicht mehr nach Volumen, sondern nach Gewicht anzugeben ist. Problemtisch ist dabei jedoch, dass Senf in unterschiedlicher Konsistenz vorliegen kann und darüber hinaus ein Wechsel von der Angabe der Nettofüllmenge in Volumen hin zu einer Füllmengenangabe nach Gewicht verdeckte Preiserhöhungen begünstigen kann. Entsprechendes kann umgekehrt auch im Fall von Milcherzeugnissen gelten, die bisher nach § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b) FPV grundsätzlich nach Gewicht zu kennzeichnen sind, wenn etwa bei einem Joghurt künftig die Angabe der Nettofüllmenge nach Volumen gefordert wird.

Gibt es aktuell für Honig die klare Vorgabe, dass die Nettofüllmenge gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a) FPV nach Gewicht anzugeben ist, drohen bei Wegfall dieser nationalen Sonderregelung aufgrund der von flüssig bis fest reichenden unterschiedlichen Konsistenzen von Honig erhebliche Probleme bei der Festlegung einer neuen einheitlichen Bezugsgröße. Statt auf Gewicht künftig auf Volumen abzustellen erscheint dabei ebenso unbefriedigend wie eine jegliche Vergleichbarkeit innerhalb der Produktgruppe unmöglich machende Volumenangabe bei flüssigem und eine Gewichtsangabe bei festem Honig.

Auch die für bestimmte Süßwaren aktuell in § 8 Abs. 2 FPV vorgesehene Möglichkeit der Stückzahlangabe soll zwar zunächst noch gemäß § 19 Abs. 2 FPVEntwurf fortgelten, um dann ebenfalls nach § 42 FPV-Entwurf zu entfallen. Entsprechendes gilt bezüglich der nach § 8 Abs. 3 FPV bzw. künftig gemäß § 19 Abs. 3 FPV-Entwurf erforderlichen Stückzahlangabe bei Süßstofftabletten. Die Möglichkeit zur Stückzahlangabe wird nach Wegfall der entsprechenden nationalen Sonderregelungen nur noch nach Art. 23 i.V.m. Anhang IX Nr. 1 LMIV bestehen. Soweit keiner der in Anhang IX Nr. 1 LMIV aufgelisteten Fälle eingreift, wird bei den zuvor angeführten, regelmäßig in fester Form vorliegenden Erzeugnissen grundsätzlich die Angabe der Nettofüllmenge nach Gewicht erforderlich werden.

Die zuvor nur exemplarisch dargelegten Auswirkungen der gemäß § 42 FPVEntwurf vorgesehenen Streichung der aktuell in §§ 7, 8 und 10 FPV und künftig in §§ 18, 19 und 20 FPV-Entwurf festgelegten nationalen Sonderregelungen macht bereits deutlich, dass dieses Vorhaben betroffene Lebensmittelunternehmer vor nicht unerhebliche praktische Probleme stellen und die erforderliche Etikettenumstellung darüber hinaus auch mit gewissen Kosten verbunden sein wird. Auch für den Verbraucher gehen mit der vorgesehenen Neuregelung eher Nachteile einher. Denn zum einen muss er von Gewohntem Abstand nehmen und sich bei betroffenen Lebensmitteln hinsichtlich der angegebenen Nettofüllmenge neu orientieren. Darüber hinaus werden sich bei einer Umstellung von Gewicht auf Volumen oder umgekehrt verdeckte Preiserhöhungen nicht ausschließen lassen.

Aufgrund der zuvor dargelegten nicht unerheblichen Nachteile für Lebensmittelunternehmer und Verbraucher ist es schwer verständlich, warum die aktuell noch in §§ 7, 8 und 10 FPV festgelegten nationalen Sonderregelungen künftig „ohne Not“ gestrichen werden sollen, nachdem die Bundesregierung erst vor wenigen Jahren aktiv deren Beibehaltung gegenüber der EU-Kommission durchgesetzt hat und einer Weitergeltung der entsprechenden Vorschriften somit gerade aus europäischer Sicht nichts entgegen steht. Da die Beibehaltung der nationalen Sonderregelungen seinerzeit ausdrücklich auch auf Wunsch der Wirtschaft erfolgt ist, lässt sich die nun vorgenommene „180°“-Drehung des Verordnungsgebers auch nicht damit rechtfertigen, betroffene Lebensmittelunternehmer vor einer Doppelbelastung durch eine aufgrund des innereuropäischen Handels erforderliche Doppelkennzeichnung der Nettofüllmenge schützen zu wollen.

Soweit mit der Novellierung des Fertigpackungsrechts das Ziel verfolgt wird, nationale Doppelregelungen zu aktuellem europäischem Recht zu streichen, erfolgt die Umsetzung im vorliegenden FPV-Entwurf nicht konsequent. Denn während die aktuell in §§ 7, 8 und 10 FPV festgelegten nationalen Sonderregelungen als künftige §§ 18, 19 und 20 FPV-Entwurf über § 42 FPV-Entwurf in absehbarer Zeit ersatzlos gestrichen werden sollen, werden die aktuell in § 6 Abs. 4, Abs. 5 und in § 33a Abs. 1 Nr. 3 FPV festgelegten nationalen Sonderregelungen uneingeschränkt in § 37 Abs. 2, Abs. 3 sowie in § 1 Abs. 2 Nr. 2 FPV-Entwurf weitergelten. Dies ist umso erstaunlicher, da man durchaus darüber diskutieren kann, ob gerade § 6 Abs. 4 FPV, der sich identisch in § 37 Abs. 2 FPV-Entwurf wiederfindet, im Jahr 2014 überhaupt gegenüber der Europäischen Kommission gemäß Art. 42 LMIV als beizubehaltende nationale Sonderregelung hätte gemeldet werden dürfen. Denn der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 4 FPV überschneidet sich erheblich mit dem der in Anhang IX Nr. 4 LMIV getroffenen Regelung, was für den betroffenen rechtsunterworfenen Lebensmittelunternehmer aufgrund unterschiedlicher Rechtsfolgen der nationalen und der europäischen Vorschrift in der Praxis regelmäßig zu Problemen führt.

Aufgrund des zuvor Ausgeführten wäre es wünschenswert, dass der Verordnungsgeber gerade die künftige Handhabung der im Jahr 2014 gemäß Art. 42 LMIV gegenüber der Europäischen Kommission gemeldeten nationalen Sondervorschriften im Rahmen der Novellierung der Fertigpackungs­verordnung nochmals überdenkt, um dem Ziel einer transparenten, in sich schlüssigen sowie die Interessen von Verbrauchern und Lebensmittelwirtschaft besser berücksichtigenden Neuregelung näher zu kommen als dies nach aktuellem Stand der Fall ist.