Vorwort

Die Lebensmittelkennzeichnung erlangt stetig größere Bedeutung.

Hierzu trägt vor allem das gesteigerte Informationsbedürfnis der Verbraucherschaft bei. Der Verbraucher geht dazu über, seine Kaufentscheidung bewusst anhand aller ihm zur Verfügung gestellten Informationen zu treffen.

Gleichzeitig existieren vielfältige Forderungen aus der Politik und von Verbraucherverbänden, das vom EuGH geprägte Verbraucherleitbild des verständigen Durchschnittsverbrauchers zugunsten des flüchtigen Verbrauchers zu ändern.

Der Europäische Gesetzgeber hat diese Bestrebungen aufgegriffen und Ende 2011 erstmals vollharmonisierte Regelungen im Bereich der Lebensmittelkennzeichnung geschaffen. Hierdurch wird unter Berücksichtigung der neuesten Entwicklungen im Lebensmittelrecht (beispielsweise zu Nanomaterialien) vor allem dem gesteigerten Informationsbedürfnis der Verbraucher Rechnung getragen werden.

Durch Verabschiedung der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011, der so genannten Lebensmittelinformations­verordnung (LMIV), wurde im November 2011 eine neue Ära der Lebensmittelkennzeichnung eingeläutet. Nicht nur die Tatsache, dass nationale Vorschriften durch die Vollharmonisierung nunmehr ausgedient haben, sondern vor allem die zusätzlichen Kennzeichnungsverpflichtungen verdeutlichen den Willen des Europäischen Gesetzgebers nach einer umfassenderen Information der Verbraucher.

Die LMIV greift einige der in den vergangenen Jahren kontrovers diskutierten Themenbereiche auf: So wird beispielsweise die Nährwertkennzeichnung ab dem 13. Dezember 2016 für alle vorverpackten Lebensmittel verpflichtend. Ebenso enthält die LMIV in Anhang VI Teil A ergänzende Kennzeichnungsvorschriften hinsichtlich bislang heftig umstrittener Themen, wie etwa die Erforderlichkeit eines Auftauhinweises, die Kennzeichnung von Formfleisch und Lebensmittelimitaten sowie die Kenntlichmachung von Wasserzusatz bei Fleisch, Fleischzubereitungen und unverarbeiteten Fischereierzeugnissen. Darüber hinaus soll künftig eine erweiterte Herkunftskennzeichnung die Verbraucher über die Herkunft Lebensmittel tierischen Ursprungs informieren. Seitenwechsel

Diese Beispiele verdeutlichen den vollzogenen Wandel im europäischen Lebensmittelkennzeichnungsrecht.

Jedoch sind es nicht nur gesetzgeberische Neuerungen oder Änderungen in der Rechtsprechung, welche Einfluss auf die Ausgestaltung der Lebensmittel haben.

Während es früher ausreichte, ein den gesetzlichen Anforderungen genügendes Produkt in den Verkehr zu bringen, stellt sich für die Lebensmittelunternehmer inzwischen die Situation komplizierter dar.

Immer häufiger sehen sich Lebensmittelunternehmer mit der „gefühlten Verbrauchertäuschung“ konfrontiert, bei der ein Lebensmittel unstrittig den gesetzlichen Anforderungen genügt, jedoch trotzdem von Verbrauscherschutzorganisationen an den Pranger gestellt wird.

Zu nennen ist hier etwa die jährliche Verleihung des „goldenen Windbeutels“ durch Foodwatch für die „dreisteste Werbelüge“. Neu allerdings ist, dass sich nicht nur Verbraucherschutzorganisationen als moralische Instanz betätigen, sondern seit geraumer Zeit auch der deutsche Staat. Hier ist in erster Linie das vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz geförderte und vom Bundesverband der Verbraucherzentralen betriebene Portal www.lebensmittelklarheit.de zu berücksichtigen, welches unter dem Deckmantel des Dialogs zwischen Wirtschaft und Verbraucherschaft die „gefühlte Irreführung“ der Verbraucher anprangert.

Durch diese Kampagnen wird versucht, der Lebensmittelwirtschaft überobligatorische Anstrengungen aufzuerlegen, um dem angeblichen Willen der Verbraucher möglichst weitgehend zu entsprechen.

Doch derartige politisch motivierte Vorstöße verkennen, dass die Rechtmäßigkeit eines Produktes in einem Rechtsstaat einzig und allein anhand der gesetzlichen Bestimmungen zu messen ist. Der Wille der Verbraucher darf selbstverständlich nicht außer Acht gelassen werden. Letztlich entscheidet in einer freien Marktwirtschaft der Wille der Verbraucher über den Absatz eines Produktes.

Für Lebensmittelunternehmer gilt es jedoch daher primär, die gesetzliche Rechtslage einzuhalten, wozu dieses Praxishandbuch einen Beitrag leisten soll. Inwieweit darüber hinaus der Seitenwechsel Wille der Verbraucher Einfluss auf die Lebensmittelkennzeichnung haben soll, bleibt letztlich jedem Unternehmer selbst überlassen. Denn dies ist genauso Ausfluss der freien, marktwirtschaftlichen Entscheidung der Lebensmittelunternehmer wie die tägliche Kaufentscheidung der Verbraucher.

Gummersbach, Juli 2012

Prof. Gerd Weyland

Dr. Martin Holle

Dr. Danja Domeier Seitenwechsel