März 2021

Glückliche Schweine auf grüner Wiese: Die strafrechtlichen Risiken der Irreführung

Prof. Dr. Jens Bülte

Der Sommer 2020 war keine gute Zeit für die Fleischindustrie. Zunächst wurden wieder einmal tierquälerische Vorgänge in einem Schlachthof und die mangelnde Bereitschaft oder Fähigkeit der Veterinärbehörden die Rechtsverletzungen zu unterbinden bekannt und dokumentiert. Dann lenkte der Ausbruch der Corona-Pandemie das Interesse der Öffentlichkeit auf die – ebenfalls seit langem allseits bekannten – desolaten Lebens- und Arbeitsbedingungen vieler Menschen, die in manchen fleischverarbeitenden Betrieben beschäftigt sind. Diese Vorgänge zeigen ein weiteres Mal, dass von effektivem Gesetzesvollzug in Schlachtung und Weiterverarbeitung nicht die Rede sein kann. In unmittelbarer zeitlicher Korrelation forderte ein großer Lebensmitteldiscounter von den Fleischerzeugern die Senkung der Preise für Fleischprodukte. Das war keine geglückte Marketingmaßnahme. Noch weniger glücklich war allerdings die Gestaltung einer Verpackung für Schweinefleisch, die ein anderer großer Lebensmitteldiscounter in den Verkehr gebracht hatte. Denn das richtige Adjektiv für diesen Vorgang ist strafbar:

Hier lagen „Schweine Minutensteaks“ im Regal. Abgebildet waren auf der ansonsten weitgehend durchsichtigen Verpackung u. a. Schweine auf einer grünen Wiese. Zudem trug die Verpackung das „Haltungszeugnis Stufe 1 – Konventionelle Stallhaltung – Entspricht den gesetzlichen Standards“. Auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches. Wer würde ein Lebensmittel auch mit Bildern der tatsächlichen Verhältnisse aus der Stallhaltung bewerben wollen, die Verbrauchern den Appetit verderben können? In der Werbung mit der grünen Idylle hat das Landgericht Nürnberg-Fürth (Urt. v. 31.1.2020 – 19 O 5336/19) – auf die Klage der Verbraucherzentrale Brandenburg hin – allerdings eine Rechtsverletzung gesehen und diese Aufmachung einer Lebensmittelverpackung als nach Art. 7 Abs. 1 lit. a, Abs. 4 VO (EU) Nr. 1169/2011 (Lebensmittelinformations­verordnung LMIV v. 25.11.2011, EU Abl. v. 22.11.2011, L 304/18) irreführend beurteilt.

Die Kernaussage dieser wichtigen Entscheidung findet sich im zweiten Absatz auf S. 6:

„… Die Abbildung der Schweine im Freiland verleitet einen normalen verständigen Verbraucher zu der Annahme, die verarbeiteten Tiere hätten zumindest zeitweise Zugang zu einem Außengehege erhalten. Zwar ist neben diesem Foto der Störer Seitenwechsel „konventionelle Stallhaltung – entspricht dem gesetzlichen Standard" angebracht. Dieser Störer reicht allerdings nicht, um die Irritation des Verbrauchers durch die bildliche Darstellung zu beseitigen. Dem Verbraucher wird durch das abgedruckte Foto vielmehr der Eindruck vermittelt, auch bei der konventionellen Stallhaltung sei zumindest zeitweise ein Auslauf gewährleistet. Nähergehende Informationen, was der Begriff „konventionelle Stallhaltung" bedeutet, finden sich auf der Verpackung selbst nicht. Dieser Widerspruch kann nur bei weiterer Nachforschung im Internetauftritt der Beklagten aufgelöst werden. Da die dort enthaltene Information im Zeitpunkt der Kaufentscheidung einem Durchschnittsverbraucher nicht zur Verfügung steht, ist die durch das Foto auf der Verpackung hervorgerufene Assoziation der Haltung auch im Freiland irreführend.“

Mit seiner Definition der Verbrauchererwartung orientiert sich das Gericht an der Entscheidung des EuGH zum „Himbeer-Vanille-Abenteuer“ (Urt. v. 4.6.2015 – C-195/14 Rz. 36 ff.), die Gerhard Dannecker im Editorial Juli 2015 erörtert hat. Zwar geht das Landgericht ebenso wenig wie der EuGH vom flüchtigen und unaufmerksamen Verbraucher aus, dem jede Information unübersehbar auf dem Silbertablett serviert werden müsste. Doch richtet es an ihn ebenso wenig die Erwartung, er sei bestens informiert, aufmerksam und habe stets – also auch beim Einkaufen – Zugang zu Informationen von der Internetseite des Anbieters einer Ware. Diese Rechtsprechung setzt vielmehr zweideutigen Kennzeichnungen von Lebensmitteln Grenzen und legt das Leitbild des unkritischen Verbrauchers zugrunde.

Dieses Leitbild wirkt sich auch auf das Lebensmittelstrafrecht aus: Art. 7 Abs. 1 lit. a) LMIV verbietet die Verwendung irreführender Angaben über die Eigenschaften eines Lebensmittels. Davon umfasst sind auch Informationen über die Methode der Herstellung oder Erzeugung. Dieses Verbot gilt auch für die Verpackung von und Werbung für Lebensmittel (Art. 7 Abs. 4 LMIV). Das Unionsrecht will einen umfassenden Schutz der Verbraucher vor Desinformation sicherstellen und bezieht dabei eine Vielzahl von Aspekten mit ein. So heißt es in Art. 3 Abs. 1 LMIV:

„Die Bereitstellung von Informationen über Lebensmittel dient einem umfassenden Schutz der Gesundheit und Interessen der Verbraucher, indem Endverbrauchern eine Grundlage für eine fundierte Wahl und die sichere Verwendung von Lebensmitteln unter besonderer Berücksichtigung von gesundheitlichen, wirtschaftlichen, umweltbezogenen, sozialen und ethischen Gesichtspunkten geboten wird.“

Daraus wird deutlich, dass der Verbraucher vor Ort im Supermarkt auch richtig und zweifelsfrei über solche Umstände informiert werden muss, die weder mit der gesundheitlichen Wirkung noch mit der Qualität des Lebensmittels im engeren Sinne zusammenhängen. Auch Informationen über die Produktionsbedingungen dürfen nicht irreführend sein, sodass unrichtige oder nicht ohne weiteres verständliche Anga Seitenwechsel ben über Tierhaltung und Arbeitsbedingungen verboten sind und strafrechtlich relevant sein können.

Dieser Anspruch an die Richtigkeit und Eindeutigkeit der Verbraucherinformation wirft Fragen auf:

Ist eine Aufmachung oder Werbung, die nicht auf rechtswidrige Arbeits- oder Haltungsbedingungen in der Produktion eines Lebensmittels hinweist, per se irreführend? Denn der Lebensmittelunternehmer, der den Hinweis unterlässt, dass in seinem Unternehmen oder bei der Produktion durch einen Lieferanten Arbeitsschutz- oder Tierschutzrecht verletzt wird, vermittelt Verbrauchern den irrigen Eindruck, das Lebensmittel sei unter Einhaltung geltenden Rechts hergestellt worden. So wird ihnen die fundierte Entscheidung für oder gegen ein Lebensmittel unter besonderer Berücksichtigung umweltbezogener, sozialer und ethischer Gesichtspunkte erschwert. Wird also bei jeder Werbung, Aufmachung oder Information, die sich auf Lebensmittel bezieht, konkludent die Rechtmäßigkeit der Erzeugung miterklärt?

Wie ist die Kennzeichnung mit einem sog. Haltungszeugnis „konventionelle Stallhaltung“ nach Unionsrecht zu bewerten? Handelt es sich um eine verbotene Werbung mit einer Selbstverständlichkeit i. S. v. Art. 7 Abs. 1 lit. c LMIV? Oder hat die Auszeichnung eines Produkts mit dem Label „Stallhaltung“ nicht eher abschreckende als anpreisende Wirkung? Kommt es auf diese Werbewirkung für den Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 lit c) LMIV überhaupt an oder nur auf das Hervorheben einer Besonderheit?

Gleichgültig, wie man diese letzten Fragen beantwortet, unterlagen die von dem Lebensmittelunternehmer in Verkehr gebrachten Verpackungen für „Minutensteaks“ aufgrund ihrer Aufmachung einem Verkehrsverbot nach Art. 7 Abs. 1, 4 LMIV. Das hat zunächst die lebensmittelrechtliche Folge, dass die Lebensmittel nach § 11 LFGB nicht hätten in den Handel gebracht werden dürfen. Darüber hinaus dürfte durch das Inverkehrbringen dieser Minutensteaks aber auch eine Straftat nach § 59 Abs. 1 Nr. 7 LFGB begangen worden sein, weil der vorsätzliche Verstoß gegen § 11 Abs. 1 LFGB strafbewehrt ist. Dass hier Vorsatz vorlag ist naheliegend, weil den Beteiligten das Verbot der Irreführung bekannt gewesen sein dürfte und darüber hinaus nur die sog. Parallelwertung in der Laiensphäre nachvollzogen und keine juristisch exakte Wertung vorgenommen werden muss. Den Verantwortlichen musste also nur das ernsthafte Risiko bewusst sein, dass die Kennzeichnung Irreführungspotential hatte, und sie hätten dies billigend in Kauf nehmen müssen.

Die Folgen einer solchen Strafbarkeit reichen weit. Dabei sind die unmittelbaren strafrechtlichen Konsequenzen noch verhältnismäßig harmlos. Denn Strafverfahren, die Taten nach §§ 58, 59 LFGB zum Gegenstand haben, enden nicht selten mit Verfahrenseinstellungen nach §§ 153 f. StPO oder allenfalls geringen Geldstrafen. Auch Seitenwechsel eine Geldbuße nach § 130 OWiG gegen Aufsichtspflichtige in Unternehmen hat meist noch überschaubare Konsequenzen. Doch griffe eine Beurteilung, die allein diese unmittelbaren Folgen im Blick hat, deutlich zu kurz und hätte die Rechnung ohne die Rechtsprechung des BGH und die aktuellen kriminalpolitischen Entwicklungen auf Ebene der Gesetzgebung gemacht.

Die Änderungen des Abschöpfungsrechts im Jahr 2017 haben den kriminalpolitischen Blankoscheck unter dem Titel „Verbrechen darf sich nicht lohnen“ konsequent eingelöst. Das führt zu harten Einziehungsfolgen. So hat der 1. Strafsenat des BGH in seinem Beschluss vom 22.4.2020 (1 StR 261/19 Rz. 3) angenommen, dass bei einem Inverkehrbringen eines Lebensmittels unter irreführender Bezeichnung nach § 59 Abs. 1 Nr. 7, § 11 Abs. 1 LFGB – also exakt der hier in Rede stehenden Fallkonstellation – nicht nur das Lebensmittel, sondern nach § 73c StGB auch dessen gesamter Wert eingezogen werden kann, wenn die Ware bereits verkauft worden ist. Dabei sind grundsätzlich weder der Einkaufspreis noch die Transport- oder Lagerkosten in Abzug zu bringen. Im Vollstreckungsverfahren kommen nach § 459g Abs. 5 StPO zwar Härtefallregelungen in Betracht, sind aber keineswegs selbstverständlich. Im Falle einer Straftat nach § 59 LFGB muss der Unternehmer daher damit rechnen, den vollen Erlös herausgeben zu müssen. Jede Erleichterung bei der Einziehung, die über die wirtschaftliche Existenz entscheiden kann, muss im Vollstreckungsverfahren hart erkämpft werden.

Darüber hinaus drohen durch die kommenden Änderungen des Geldwäschestrafrechts weitere Verschärfungen. Hatte der Lebensmittelunternehmer in der Vergangenheit regelmäßig nur zufälligen Kontakt mit § 261 StGB, so bringt die zukünftige Rechtslage insofern aller Voraussicht nach eine grundlegende Änderung (BT-Drs. 19/24180). Jeder Gegenstand, der aus irgendeiner Straftat stammt – und sei es aus einer Fahrlässigkeitstat nach § 58 Abs. 6 LFGB – führt dazu, dass daraus erlangtes Vermögen verkehrsunfähig wird. Damit droht nicht nur die Einziehung des Erlöses aus einer Lebensmittelstraftat, sondern auch die Strafbarkeit wegen Geldwäsche bei jedem zumindest leichtfertigen Kontakt mit Vermögensgegenständen aus einer solchen Tat.

Das führt zu unkalkulierbaren Risiken. Denn die Rechtsprechung des BGH (20.5.2015 – 1 StR 33/15 Rz. 5 ff.) geht davon aus, dass bei einer Vermischung von illegalem mit legalem Vermögen der Gesamtbestand als illegal und damit als geldwäschetaugliche anzusehen ist, soweit der inkriminierte Teil nicht wirtschaftlich unerheblich (im konkreten Fall des BGH unter 6 %) ist. Die Ergebnisse können hier zufällig sein, je nachdem, welche Mengen der irreführend aufgemachten Waren verkauft werden und in welchem Verhältnis zu anderen Waren Erlöse erwirtschaftet werden. Die Vermischung von Vermögensgegenständen kann weitreichende Infekti Seitenwechsel onswirkungen haben, die letztlich nicht mehr kalkulierbar oder beherrschbar sind. Die Einstellung eines Strafverfahrens nach §§ 153 ff. StPO bewahrt den Unternehmer weder vor der Einziehung noch vor der Infektion weiterer Vermögenswerte. Denn § 76a Abs. 3 StGB sieht in diesen Fällen die selbständige Einziehung vor, und die Geldwäschetauglichkeit ist vom Verfahrensausgang ohnehin unabhängig. Schließlich muss der Unternehmer auch noch mit einer Veröffentlichung des Verstoßes nach § 40 Abs. 1a LFGB rechnen.

Damit kann das Bild vom glücklichen Schwein auf der grünen Wiese auf der Verpackung von Fleisch aus Stallhaltung in der Verpackung unübersehbare Folgen haben. Dem kann auch das Fingerspitzengefühl einer maßvollen Justiz, die bislang die gröbsten Auswüchse der Einziehung und Geldwäschestrafbarkeit verhindert hat, nicht mehr viel entgegensetzen… Seitenwechsel