November 2020 Blankettstrafgesetze des LFGB vor dem Bundesverfassungsgericht:
zur Verfassungsmäßigkeit sog. ministerieller Rückverweisungsklauseln
Prof. Dr. Dr. h.c. Gerhard Dannecker, Heidelberg
Seit der Entscheidung des EuGH im „Griechischen Maisfall“, in der die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Schutz der finanziellen
Interessen der EU in gleichem Maße wie nationale Interessen ausgesprochen wurde,
wird in den Rechtsakten der EU regelmäßig, wenn auch nicht durchgängig, die
Verpflichtung zur Einführung geeigneter, abschreckender und wirksamer Sanktionen
(Mindesttrias) aufgenommen. Diese Formel wurde vom EuGH als spezifische Ausformung des
Loyalitätsgebots nach Art. 10 EGV, jetzt Art. 4 EUV, entwickelt. Ein Bereich, der weitestgehend durch unionsrechtliche Vorgaben geregelt
ist und in dem deshalb die soeben genannte Verpflichtung durchgängig zum Tragen
kommt, ist das Lebensmittelrecht, das geradezu als Referenzgebiet für das
Verhältnis von europäischem und nationalem Recht gelten kann, zeichnet es sich doch wie kaum eine andere Rechtsmaterie durch seine
unionsrechtliche Durchdringung aus.
Nunmehr musste sich das Bundesverfassungsgericht in zwei Entscheidungen mit der
Verfassungsmäßigkeit sog. strafrechtlicher Rückverweisungsklauseln befassen.
Anstatt selbst oder durch Verweis auf ein anderes Gesetz festzulegen, welches
Verhalten mit Strafe bewehrt sein soll, überlässt der Gesetzgeber es dem
zuständigen Bundesministerium, soweit es zur Durchsetzung der Rechtsakte der
Europäischen Union
erforderlich ist, durch Rechtsverordnung die Tatbestände zu bezeichnen,
die als Straftat zu ahnden sind. Da mithin der Verordnungsgeber darüber
entscheidet, welches Verhalten strafbar sein soll, stellt sich die Frage, ob die
möglichen Fälle der Strafbarkeit schon aufgrund des Gesetzes oder erst aufgrund
einer ministeriellen Strafverordnung vorhersehbar sind.
Solche ministerielle Rückverweisungsklauseln sind unter verfassungsrechtlichen
Gesichtspunkten problematisch (dazu 1.) und haben zu den beiden Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts mit unterschiedlichen Ergebnissen geführt (2.).
Angesichts dieser Rechtslage ist der Gesetzgeber aufgerufen, klare Verhältnisse zu
schaffen und selbst über das „Ob“ und „Wie“ der Strafbarkeit zu entscheiden
(3.).
1.
Rückverweisungsklauseln im Lebensmittelstrafrecht
Das Lebensmittelstrafrecht kennt die Regelungstechnik, dass die Strafbarkeit
mittels behördlicher Rückverweisungsklauseln begründet wird. Hiernach ist
strafbar, wer gegen eine unmittelbar geltende Rechtsvorschrift der Europäischen
Union verstößt, soweit diese inhaltlich einer Regelung entspricht, zu deren Erlass
der nationale Verordnungsgeber ermächtigt war. Weitere Voraussetzung der
Strafbarkeit ist, dass der Verordnungsgeber von der Ermächtigung in § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB Gebrauch
gemacht und durch Rechtsverordnung die Strafbarkeit der konkreten Zuwiderhandlung
ausdrücklich angeordnet und auf die Strafnorm verwiesen hat. Die Strafbarkeit des
Verstoßes gegen Unionsrecht hängt also von der Anordnung der Strafbarkeit in einer
nationalen Rechtsverordnung ab, die inhaltlich vom nationalen Verordnungsgeber
hätte erlassen werden können; außerdem muss die Verhängung der Strafe zur
Durchsetzung des Unionsrechts erforderlich sein.
Diese Gesetzgebungstechnik wird gewählt, um aufwendige Gesetzgebungsverfahren zu
vermeiden, die notwendig werden, wenn sich durch Straf- und Bußgeldvorschriften in
Bezug genommene unionsrechtliche Ausfüllungsnormen ändern. Um ein Leerlaufen der Verweise auf EU-Verordnungen zu vermeiden, wird der
nationale Verordnungsgeber ermächtigt, Sanktionslücken im Wege der
Rechtsverordnung zu schließen. Darüber hinaus bedient sich der Gesetzgeber der Rückverweisungsklauseln,
wenn neue unionsrechtliche Vorschriften, die denselben Regelungsgehalt aufweisen
wie von der Strafnorm bereits in Bezug genommene nationale Ge- und Ver
bote, mit Strafe bewehrt werden sollen (so z. B. auch § 59 Abs. 3 LFGB). Der Gesetzgeber muss auf die meist schnelllebige Gesetzgebungstätigkeit
der Europäischen Union rasch reagieren und versucht dieser Verpflichtung
nachzukommen, indem er nicht den schwerfälligen Gesetzgebungsapparat bemüht,
sondern bereits im Vorhinein den Gesetzgebungsprozess durch die Verwendung von
Rückverweisungsklauseln unter Einbindung der Exekutive abkürzt.
Solche Rückverweisungsklauseln, mit denen der nationale Verordnungsgeber festlegt,
welche unionsrechtlichen Ge- oder Verbote strafbar sind, sind unter
verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten wegen des strafrechtlichen
Gesetzesvorbehalts (Art. 103 Abs. 2 GG) problematisch und seit jeher umstritten. Zwar tragen Rückverweisungsklauseln zu einer erhöhten Bestimmtheit und
Vorhersehbarkeit für den Bürger bei und sind deshalb unter dem Gesichtspunkt des
Bestimmtheitsgebots gerade nicht problematisch. Jedoch darf der Strafgesetzgeber
die Entscheidung, welche Verhaltensweisen unter Strafandrohung stehen, nicht dem
Verordnungsgeber überlassen und so den Parlamentsvorbehalt unterlaufen, indem er den nationalen
Verordnungsgeber zum Erlass von Rückverweisungsklauseln ermächtigt. Außerdem muss
den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG Rechnung getragen werden. Hiernach
muss der Gesetzgeber selbst die Entscheidung über strafrechtliche Regelungen
treffen und die Grenzen einer solchen Regelung festsetzen; er muss angeben,
welchem Ziel sie dienen soll.
2.
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu
strafrechtlichen Rückverweisungsklauseln
Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2016 auf der Grundlage des
Vorlagebeschlusses des LG Berlin die Blankettstrafnorm des § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG
wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2, 104 Abs. 1 S. 1 GG sowie die
in § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG
geregelte Verordnungsermächtigung wegen Verstoßes gegen Art. 80
Abs. 1 S. 2 GG in einer viel beachteten Entscheidung für verfassungswidrig
erklärt. Die infolge der Rückverweisung entstehende Blankettstrafnorm sei mit den
Bestimmtheitsanforderungen nach Art. 103 Abs. 2 i. V. m. Art. 104 Abs. 1 GG sowie
mit den Anforderungen an eine gesetzliche Ermächtigung zum Erlass einer
Rechtsverordnung nach Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG nicht vereinbar. Daher sei § 10 Abs.
1, 3 RiFlEtikettG
verfassungswidrig und damit nichtig.
Im Einzelnen wird ausgeführt, § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG lasse auch i. V. m. § 1 Abs. 1 RiFlEtikettG
nicht hinreichend klar erkennen, welche Verstöße gegen
unionsrechtliche Vorgaben sanktioniert werden sollen. Denn § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG
benenne durch die Verweisung auf die genannten europäischen
Rechtsakte lediglich einen nicht weiter konkretisierten Bezugspunkt erst noch
näher zu bestimmender Verhaltensgebote und -verbote. Anstatt selbst oder durch
Verweis auf ein anderes Gesetz festzulegen, welches Verhalten mit Strafe bewehrt
werden soll, überlasse § 10
Abs. 1 RiFlEtikettG es dem Bundesministerium, soweit es zur
Durchsetzung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft erforderlich ist, durch
Rechtsverordnung nach § 10
Abs. 3 RiFlEtikettG die Tatbestände zu bezeichnen, die als
Straftat nach § 10 Abs. 1
RiFlEtikettG zu ahnden sind. Da mithin der Verordnungsgeber
darüber entscheide, welches Verhalten strafbar sein soll, ließen sich die
möglichen Fälle der Strafbarkeit nicht schon aufgrund des Gesetzes, sondern erst
aufgrund der auf Basis des § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG ergangenen Rindfleischetikettierungs-Strafverordnung
voraussehen. Somit handele es sich um eine unzulässige pauschale
Blankoermächtigung zur Umsetzung des Art. 22 Abs. 1 VO (EG) Nr.
1760/2000 durch eine nationale Rechtsverordnung.
Nunmehr musste sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 11.3.2020
bezüglich der auf demselben Regelungsmodell beruhenden Strafvorschrift des
§ 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB
i. V. m. §§ 58 Abs. 1 Nr. 18; 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB und der Verordnungsermächtigung
des § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB
befassen. Dieser Entscheidung lag ein Vorlagebeschluss des LG Stade
vom 15.03.2017 zugrunde, der sich auf eine für das Lebensmittelstrafrecht
gleichermaßen typische Konstellation einer Blankettstrafnorm mit
Rückverweisungsklausel bezog, die – im Gegensatz zu § 10 Abs. 1 und Abs. 3 RiFlEtikettG
– die Besonderheit folgender Entsprechungsklausel aufwies:
Nach § 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe
bestraft, „wer einer anderen als in Absatz 2 genannten unmittelbar geltenden
Vorschrift in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft oder Europäischen Union
zuwiderhandelt, die inhaltlich einer Regelung entspricht, zu der die in Absatz 1
Nummer 18 genannten Vorschriften ermächtigen, soweit eine Rechtsverordnung nach
§ 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB
für einen bestimmten Straftatbestand auf diese Strafvorschrift
verweist“. In § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB
wird das Bundesministerium ermächtigt, „soweit dies zur
Durchsetzung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen
Union erforderlich ist, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates
die Tatbestände zu bezeichnen, die als Straftat nach § 58 Abs. 3 oder § 59 Abs. 3
Nr. 1 oder 2 Buchst. a zu ahnden sind“.
Das LG Stade greift bei der Beurteilung der Verfassungswidrigkeit des § 58 Abs. 3
Nr. 2 sowie § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB
im Wesentlichen auf die tragenden Entscheidungsgründe des
BVerfG zurück und stützt darauf die Verfassungswidrigkeit der Norm. Es legt dar,
dass das alleinige strafbegründende Tatbestandsmerkmal des § 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB die
„Zuwiderhandlung gegen eine unmittelbar geltende Vorschrift in Rechtsakten der
Europäischen Gemeinschaft bzw. Union“ sei. Die vermeintliche Konkretisierung durch
die Entsprechungsklausel, wonach „die Vorschrift, gegen welche zuwider gehandelt
wird, inhaltlich einer Regelung entsprechen müsse, zu der die in Absatz 1 Nummer
18 genannten Vorschriften ermächtigen, soweit sie durch eine Rechtsverordnung
nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB
für strafbar erklärt wird“, genüge ebenfalls nicht, um den
Normadressaten in die Lage zu versetzen, selbst beurteilen zu können, unter
welchen Voraussetzungen er sich strafbar macht. Zum einen bleibe
der Normtext samt Entsprechungsklausel unklar und zum anderen bleibe der
wesentliche Akt der Bewertung allein dem Verordnungsgeber überlassen. Da sich die Entsprechungsklausel zudem nicht auf ein förmliches Gesetz
beziehe, sondern auf Normen, die aufgrund einer Verordnungsermächtigung erlassen
worden sind, entferne sich „die inhaltliche Vorgabe der Strafandrohung noch weiter
von der eigenen gesetzgeberischen Entscheidung“. Da es trotz Heranziehung der Entsprechungsklausel allein im Ermessen der
Exekutive stehe, „diejenigen Tatbestände zu bezeichnen, die als Straftat nach
§ 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB
zu ahnden sind“, gleiche die streitgegenständliche Blankettnorm im
Ergebnis § 10 Abs. 1 und 3
RiFlEtikettG und damit einer, mit den Worten des BVerfG, „unzulässigen Blankoermächtigung“.
Sodann erörtert das LG Stade hinsichtlich der Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S.
1 GG, „dass die Tatbestandsvoraussetzungen für die Strafbarkeit und die Art der
Strafe schon aufgrund des Gesetzes, nicht erst aufgrund der hierauf gestützten
Verordnung erkennbar sein [müssen]. (…) Daher hat der Gesetzgeber selbst die
Voraussetzungen zu bestimmen, welches Verhalten strafbar sein soll. Er darf dies
nicht der vollziehenden Gewalt überlassen.“ Das Gericht geht hierbei näher auf die
Unvereinbarkeit von „§ 62 Abs. 1 Nr. 1
LFGB als Ermächtigungsgrundlage der Lebensmittelrechtlichen
Straf- und Bußgeldverordnung (LMRStV) auch in Verbindung mit § 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB und den
Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft nach der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 mit
spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs“ mit
Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG ein. § 62 Abs.
1 Nr. 1 LFGB genüge weder als solches den Anforderungen, die
Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG an eine hinreichende gesetzliche Bestimmtheit von Inhalt,
Zweck und Ausmaß der Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen stelle, noch
ergebe sich aus der Zusammenschau mit § 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB eine eigene gesetzgeberische
Entscheidung dazu, welche Tatbestände strafbewehrt sein sollen. Auch unter diesem
Gesichtspunkt handle es sich bei der Blankettstrafnorm mit Rückverweisungsklausel
um eine „unzulässige pauschale Blankoermächtigung zur Schaffung von
Straftatbeständen bei Verstößen gegen gemeinschaftsrechtliche Regelungen im
Bereich der Hygieneregelungen bei Lebensmitteln tierischen Ursprungs durch den
Verordnungsgeber“. Insofern komme der Entsprechungsklausel in § 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB ebenfalls
keine begrenzende Wirkung zu.
Die Vorlageentscheidung des LG Stade berief sich zu Recht auf die Entscheidung des
BVerfG zu § 10 Abs. 1 und 3
RiFlEtikettG, auch wenn sich das BVerfG nicht mit der speziell
hier in Frage stehenden Entsprechungsklausel auseinandergesetzt
hat. Denn auch hier wird der kompetenzsichernden Funktion des
Gesetzlichkeitsprinzips nicht Rechnung getragen. Zwar bedarf es einer Auseinandersetzung mit den jeweiligen
Rückverweisungsklauseln, da diese unterschiedlich ausgestaltet sind. Dennoch fehlt es auch im
vorliegenden Zusammenhang an einer hinreichenden Konkretisierung, unter welchen
Voraussetzungen das Ministerium eine Strafbarkeit statuieren darf. Denn die Entsprechungsklausel belässt der Verwaltung einen derart weiten
Gestaltungsspielraum, dass diese eigenmächtig beurteilen kann, welche
unionsrechtlichen Vorschriften einem nationalen Ge- oder Verbot entsprechen, und
kann somit über das „Ob“ und das „Wie“ der Strafbarkeit entscheiden.
Gleichwohl kam das BVerfG zu dem gegenteiligen Ergebnis und erklärte die lediglich
in Nuancen abweichende gesetzliche Regelung mehrfach als „noch“ hinreichend
bestimmt: Für einen sach- und fachkundigen Normadressaten sei es durch
Zusammenlesen der einzelnen Normen durchaus möglich, sich den gesetzlichen
Regelungsgehalt zu erschließen; gegebenenfalls müsse er sich eben eine
verlässliche Rechtsauskunft einholen. Den entscheidenden Unterschied zwischen
§ 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB
und § 10 Abs. 1
RiFlEtikettG sieht das BVerfG darin, dass aufgrund der
Entsprechungsklausel über § 58 Abs. 1
Nr. 18 LFGB und der vom nationalen Verordnungsgeber zu
erlassenden Rechtsverordnung die strafbewehrten Verhaltensvorschriften
hinreichend konkretisiert seien, während § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG
die strafbewehrten Verbotsvorschriften des Unionsrechts „lediglich
abstrakt skizziert“ habe. Dem nationalen Verordnungsgeber sei bei der Komplementierung des
§ 58 Abs. 1 Nr. 18 LFGB
„kein substantieller Ausgestaltungsspielraum“ verblieben, während
§ 10 Abs. 1 RiFlEtikettG
dem Verordnungsgeber ein „vorbehaltloses Bezeichnungsrecht“
zugestanden habe.
Die Verordnungsermächtigung des § 62
Abs. 1 Nr. 1 LFGB misst das BVerfG an Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG und
hebt auch hier die etwas konkretere gesetzliche Vorgabe hervor: „Wegen der in
§ 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB
enthaltenen Bezugnahme auf die in § 1 Abs. 1 und Abs. 2
beziehungsweise Abs. 3 LFGB
vorgegebene Zwecksetzung (...) (ist) festgelegt, dass die
Bezeichnung der Tatbestände – anders als im Falle des § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG
(...) – nicht bloß der erforderlichen Durchsetzung
(irgendwelcher) Rechtsakte der Europäischen Union dient, sondern nur
solcher in unionalen Rechtsakten enthaltener Tatbestände, die ein abstrakt oder
konkret für die menschlichen Gesundheit gefährliches Verhalten zum Gegenstand
haben.“ Hinreichend bestimmt sei der Inhalt der Verordnungsermächtigung in
§ 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB
auch deshalb, weil der Gesetzgeber das Fehlen einer namentlichen
Bezeichnung der relevanten Rechtsakte durch die inhaltlichen Vorgabe des
§ 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB
„kompensiert“ habe, was bei § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG
nicht der Fall gewesen sei.
Zu Recht hebt Herz
„die mahnenden Worte“ an den Gesetzgeber hervor und sieht in der
Entscheidung des BVerfG eine „,Verwarnung‘ des Gesetzgebers“, wenn dieser mehrfach
die Entscheidung als „noch“ mit dem Bestimmtheitsgebot vereinbar erklärt, der kompetenzsichernden Funktion des Bestimmtheitsgebots werde „noch“
hinreichend Rechnung getragen, die Voraussetzungen der Strafbarkeit seien auf gesetzlicher Ebene „noch“
hinreichend deutlich beschrieben. Hier, so Bülte, kommt der Senat mittels einer potenziellen
Überinterpretation der unionsrechtlichen Pflicht zur Loyalität zu dem Ergebnis,
dass „die Untergrenze des noch hinreichend Bestimmten erreicht“ ist.
Dem Senat ist insoweit zuzustimmen, dass die Ermächtigung des zuständigen
Bundesministeriums in § 13 LFGB
wegen der unionsrechtlichen Pflicht zur Loyalität keinen
substanziellen Auslegungsspielraum eröffnet, soweit es um die Statuierung von Ge-
und Verboten geht. Wenn es aber um die Androhung von Kriminalstrafe für
Rechtsverstöße geht, sind in einem Strafrecht mit fragmentarischem Charakter nicht
sämtliche Normverstöße ausnahmslos unter Strafandrohung zu stellen, vielmehr
bedarf es einer gesetzgeberischen Entscheidung, welche Verbotsnormen unter
Strafandrohung zu stellen sind, und diesbezüglich belässt das Unionsrecht regelmäßig einen substanziellen
Gestaltungsspielraum.
3.
Der Preis ministerieller Rückverweisungsklauseln: eine Aufgabe
für die Gesetzgebung
Der schmale Grat zwischen den beiden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts,
der über die Verfassungsmäßigkeit der Blankettstrafgesetze entscheidet, stellt die
Strafgerichte vor eine große Herausforderung: Sie müssen entscheiden, ob ein
Strafgesetz noch oder nicht mehr verfassungsmäßig und, letzterenfalls, dem
Bundesverfassungsgericht vorzulegen ist. Der Erfolg eines solchen
Vorlagebeschlusses hängt maßgeblich davon ab, ob das vorlegende Gericht den
Anforderungen an eine Vorlageentscheidung gerecht wird.
Damit stellt sich die Frage, ob eine nur schleppende nationale Rechtssetzung auf
dem Gebiet des Strafrechts und die Vermeidung von Fehlverweisungen rechtfertigt,
dass die Kompetenz vom demokratisch legitimierten Parlament auf die Verwaltung
verlagert wird, oder ob vom Parlament erwartet werden muss, dass es die
unionsrechtliche Pflicht zur Einführung bzw. Anpassung von Straf- und
Bußgeldnormen an (geänderte) unionsrechtliche Vorgaben zeitnah erfüllt, zumal
EU-Verordnungen in der Regel lange verhandelt werden und damit rechtzeitig bekannt
sind, um ein Umsetzungsgesetz vorzubereiten. Hierfür ist es nicht erforderlich,
den Grundsatz „nullum crimen sine lege“ als zentralen Pfeiler des
Strafverfassungsrechts, der eine Entscheidung des demokratisch legitimierten
Gesetzgebers über die Strafnormen garantiert, auszuhöhlen. Zu Recht hat das
Bundesverfassungsgericht der sachlich begründeten verfassungsrechtlichen Kritik
des LG Berlin zum Durchbruch verholfen und dem LG Stade immerhin bescheinigt, dass
die Strafnorm nur „noch“ verfassungsgemäß sei. Der Preis einer Verlagerung der
Gesetzgebungskompetenzen auf die Ministerialverwaltung, der hier für die
Effektivität bezahlt werden muss, ist in einem Rechtsstaat zu hoch.
Verweisungsketten unter Einbeziehung ministerieller Rückverweisungsklauseln, die
auch für den sach- und fachkundigen Bürger, der sich beraten lässt, nur schwer
nachvollziehbar sind, entsprechen nicht den Anforderungen an ein rechtstaatliches,
hinreichend bestimmtes und vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber
verantwortetes Strafrecht. Der Strafgesetzgeber darf die Entscheidung über das
„Ob“ der Strafbarkeit nicht dem Verordnungsgeber überlassen, sondern hat sich
selbst und mittels förmlicher Gesetze um eine bessere und klarere
Gesetzgebungstechnik im europäisch überlagerten Lebensmittelrecht zu
bemühen.