Diesmal mussten wir nicht lange nachdenken. Es lag auf der Hand und allen war klar, dass die bis zum Ende der Berufungsperiode der Deutschen Lebensmittelbuch- Kommission (DLMBK) erarbeiteten Leitsatzneufassungen und -änderungen zu einer neuen Ausgabe der Leitsätze vom Behr’s Verlag führen sollen. Bis zum 30. Juni 2022 dauerte die insgesamt sechsjährige Berufungsperiode der DLMBK, also länger als in der Geschäftsordnung üblicherweise vorgesehen. Dass es sich gelohnt hat, die Kommissionsmitglieder ein Jahr länger an den Leitsätzen arbeiten zu lassen, zeigt der erzielte Umfang der Leitsatzanpassungen. Zur Veröffentlichung gelangten bis jetzt fünf Neufassungen und fünf Änderungen. Weitere Leitsätze wurden zwar bearbeitet, doch für diese gibt es – aus unterschiedlichen Gründen, auf die ich am Schluss meines Vorwortes noch eingehen werde – noch keine oder leider gar keine Veröffentlichungen.

Veröffentlicht wurden bislang die Neufassungen der

Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse

Leitsätze für Obsterzeugnisse

Leitsätze für Ölsamen, daraus hergestellte Massen und weitere Süßwaren

Leitsätze für Tee, Kräuter- und Früchtetee sowie deren Extrakte und Zubereitungen

Leitsätze für Teigwaren,

die Änderungen der

Leitsätze für Brot und Kleingebäck

Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse

Leitsätze für Fisch und Fischerzeugnisse

Leitsätze für Honig

Leitsätze für Speiseeis

sowie die vom Präsidium der DLMBK geänderten Hinweise für die Anwendung der Leitsätze des Deutschen Lebensmittbuches.

Ein solch umfangreiches Arbeitspensum zu bewältigen, war wieder einmal nur möglich dank des Engagements der 32 ehrenamtlich tätigen DLMBK-Mitglieder selbst, dank des besonderen Einsatzes der Fachausschuss-Vorsitzenden, die jede Sitzung geleitet sowie vor- und nachbereitet haben, und dank der hervorragenden Unterstützung durch das Sekretariat und die Geschäftsstelle der DLMBK. Allen sei an dieser Stelle auch diesmal wieder herzlich gedankt.

Leider gab es auch im vergangenen Jahr keine einzige Präsenz-Sitzung. Sowohl Plenum und Präsidium als auch Fachausschüsse und Arbeitsgruppen konnten an allen Terminen nur per Webkonferenz tagen. Obwohl eine gewisse Routine hierbei Einzug gehalten hat, das gemeinsame Ringen um Konsenslösungen bei der Erarbeitung von Leitsatzformulierungen litt schon darunter, dass man sich nicht sehen, in der Luft liegende Probleme nicht fühlen und Kompromisse nicht mal eben in der Pause aushandeln konnte. Trotzdem darf die Kommission stolz sein auf ihr Arbeitsergebnis, denn jede Leitsatzaktualisierung – ob Neufassung oder Änderung – ist ein essenzieller Schritt für den Verbraucherschutz und ein wichtiger Beitrag gegen mögliche Irreführungen oder Täuschungen.

Deutlich mehr als nur Änderungen haben die folgenden Leitsätze erfahren – für sie wurden Neufassungen erarbeitet:

Die Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse sind die umfangreichsten im Deutschen Lebensmittelbuch – in dieser Ausgabe „Leitsätze 2022“ (9. Auflage) des Behr‘s Verlages nehmen sie immerhin 107 Seiten ein. Zählt man auch Synonyme und die verschiedenen Schreibweisen eines Produkts mit, so benennen die aktuellen Leitsätze für 837 Erzeugnisse die übliche Bezeichnung des Lebensmittels und beschreiben deren Beschaffenheiten. Anders als die vielen punktuellen Anpassungen, die in den vergangenen Jahren aufgrund geänderter Marktgegebenheiten vorgenommen wurden, haben die Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse nun eine grundlegende Überarbeitung erfahren und folgen damit in ihrem Aufbau der üblichen Leitsatzstruktur. Die in den Besonderen Beurteilungsmerkmalen beschriebenen Produkte sind jetzt je nach Verarbeitungsgrad systematisch gegliedert. Zudem wurden Produktgruppen gebildet und unter Überschriften zusammengefasst. Nützlich für die Orientierung in der Neufassung der Leitsätze ist ohne Frage das eingefügte Inhaltsverzeichnis. Zudem kann auch die erstellte Entsprechungstabelle helfen, sich bei den über 320 neu vergebenen Leitsatznummern zurechtzufinden. Diese Entsprechungstabelle ist nicht Bestandteil der Leitsätze, sondern steht separat und kann von der Homepage der DLMBK www.deutsche-lebensmittelbuch-kommission.de heruntergeladen werden. Darüber hinaus beinhalten die neuen Leitsätze auch Überarbeitungen, die sowohl die allgemeinen Beurteilungsmerkmale wie zum Beispiel Begriffsbestimmungen, Herstellung oder Bezeichnung und Aufmachung betreffen als auch die Beschaffenheit spezifischer Produkte wie zum Beispiel Kalbsrouladen, Schaschlik oder Corned beef.

Die Leitsätze für Obsterzeugnisse, die aus dem Jahr 2008 stammten, hatten ihre Bewährungsprobe in der Praxis zwar bestanden, doch mit den Jahren waren auch sie nun reif für eine Neufassung – was nicht zuletzt durch einige Änderungsanträge sowie eigene Beobachtungen der Fachausschussmitglieder zum Ausdruck kam. So wurden beispielsweise Beschreibungen für Cranberries als Obstkonserve und als Trockenobst aufgenommen, ebenso die von Apfelmark als Apfelerzeugnis.

Neu ist auch, dass für Apfelmus nun kein Mindestzuckergehalt mehr beschrieben wird – stattdessen wird auf die Kenntlichmachung der Zuckerkonzentrationsstufe abgestellt. Zudem erfolgte bei einigen Früchten, zum Beispiel bei Kirschen, eine Anpassung der Fehlerbeschreibungen. Bei den Heidelbeersorten wurden die Leitsätze an den aktuellen Handelsbrauch angeglichen. Zudem erfuhren die Leitsätze für Obsterzeugnisse eine Verbesserung der Lesbarkeit und wie grundsätzlich bei allen Leitsatzanpassungen auch eine Aktualisierung der Rechtsbezüge.

Die Leitsätze für Ölsamen, daraus hergestellte Massen und weitere Süßwaren wurden bereits 1965 erstellt. Trotz mehrfacher Aktualisierungen – die neue, vereinheitlichte und übersichtlichere Struktur und das Wort „weitere“ im Titel haben sie erst jetzt bei der vorliegenden Neufassung bekommen. Darüber hinaus werden nun verschiedene charakteristische Beschaffenheitsmerkmale und einzelne Grundzüge der Herstellung beschrieben. Weitere Schalenfrüchte und Sesam wurden im Zuge der überarbeiteten Begriffsbestimmungen in die Leitsätze aufgenommen. Unterschiedliche Mandelqualitäten auf dem Weltmarkt führten zur Anpassung der Kennzahlen für Mindestanteile in Marzipan. Für Nugat/Nougat wurden Mindestanteile an Schalenfrüchten eingefügt und der Herstellungsprozess präzisiert. Da heutzutage andere analytische Verfahren zur Unterscheidung von Marzipan und Persipan zur Verfügung stehen, konnte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass es inzwischen nicht mehr notwendig und auch nicht mehr üblich ist, Persipan Stärke zuzusetzen. Im Rahmen der Besonderen Beurteilungsmerkmale sind die einzelnen Ölsamen nun alphabetisch aufgelistet – das erleichtert die Übersicht. Hinzuweisen ist außerdem auf das in der Anlage genannte Lübecker Marzipan, das eine für Deutschland eingetragene geschützte geographische Angabe (g.g.A.) trägt.

Die Leitsätze für Tee, teeähnliche Erzeugnisse, deren Extrakte und Zubereitungen stammten aus dem Jahr 1998 und waren in 24 Jahren nur einmal aktualisiert worden. Daher verwunderte es nicht, dass inzwischen mehrere Änderungsanträge eingegangen waren, die insbesondere auch eine Anpassung an die Europäischen Richtlinien für Tee verfolgten. Die nun veröffentlichte Neufassung hat zunächst einmal einen präziseren Titel bekommen: Leitsätze für Tee, Kräuter- und Früchtetee sowie deren Extrakte und Zubereitungen. Das lag nahe, denn kaum jemand dürfte beispielsweise Pfefferminz- oder Hagebuttentee teeähnlichen Erzeugnissen zugeordnet haben, vielmehr werden sie üblicherweise als Kräuter- beziehungsweise Früchtetee bezeichnet. Um eine bessere Übersichtlichkeit zu schaffen, enthält die Leitsatz-Neufassung nun ein vorangestelltes Inhaltsverzeichnis. Selbstverständlich folgt der gesamte Aufbau der inzwischen üblichen allgemeinen Leitsatzstruktur im Deutschen Lebensmittelbuch. Die Beschreibung möglicher Herstellungsschritte wurde ebenso aufgenommen wie die der wichtigsten Beschaffenheitsmerkmale. Die Begriffsbestimmungen von Tee, Kräuter- und Früchtetee, deren Extrakten und Zubereitungen werden im Detail beschrieben, was einer besseren Verständlichkeit zugutekommt. Auch genauere Beschreibungen zu temperaturabhängigen Zubereitungshinweisen sind jetzt zu lesen. Unter den Besonderen Beurteilungsmerkmalen werden in diesen Leitsätzen keine einzelnen Produkte beschrieben, sondern üblicherweise verwendete Pflanzen und Pflanzenteile für Kräuter- oder Früchtetee – 68 Beispiele werden derzeit systematisch beschrieben. Darüber hinaus enthalten die Leitsätze auch Beispiele koffeinhaltiger Zutaten von Kräuter- und Früchtetees. In der Anlage werden zudem charakteristische physikalische und chemische Parameter für einzelne Produkte aufgeführt.

Auch die bisherigen Leitsätze für Teigwaren stammten aus dem Jahr 1998. Jetzt sind sie neu gefasst und entsprechen damit in der Grundstruktur dem üblichen Leitsatzmuster. Besonderes Augenmerk wurde auf die Beschreibung charakteristischer Beschaffenheitsmerkmale gelegt. Neu formuliert sind auch die Grundzüge der Herstellung. Bei den üblichen Zutaten erfolgte ebenso eine Überarbeitung wie hinsichtlich der aufgeführten Getreidesystematik. Der Begriff „Frischei“ wurde zwar konkretisiert, doch die bisherigen Anforderungen dafür sind unverändert geblieben. Um der Marktentwicklung gerecht zu werden, beschreiben die Leitsätze nun auch Teigwaren auf Basis von Reis, Konjak oder Hülsenfrüchten. Zu letzteren gehören die Sojateigwaren, die ebenfalls in ihrer Beschreibung aktualisiert wurden. Gänzlich neu aufgenommen wurden glutenfreie Teigwaren und Glasnudeln.

In diesen Leitsätzen wurden Änderungen vorgenommen:

Neugefasste und geänderte Leitsätze unterliegen nach der Veröffentlichung gleichermaßen einer gewissen Prüfung in der Praxis. So auch im Falle der Leitsätze für Brot und Kleingebäck. Deren Neufassung wurde im April 2021 veröffentlicht. Die Herstellungsbeschreibung beim Knäckebrot stieß auf Kritik, ein Änderungsantrag folgte. Diesem Antrag entsprechend wurden nun die Herstellungsschritte in ihrer zeitlichen Folge angepasst.

Trotz gerade erst veröffentlichter Neufassung – die Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse stehen ständig auf dem Prüfstand, um geänderte Marktgegebenheiten bei den darin beschriebenen Produkten zu berücksichtigen. Darauf zielen auch die jetzt vorgenommenen Aktualisierungen ab: Zum einen werden nun Bezeichnungen, die den Begriff „Zigeuner“ enthalten, nicht mehr in den Leitsätzen aufgeführt. Wegen der unerwünschten Konnotation des Begriffs im öffentlichen Sprachgebrauch haben Hersteller die Bezeichnungen für ihre Erzeugnisse bereits geändert. Zum anderen wurde Schilddrüse in die Liste der Tierkörperteile aufgenommen, die nicht für die Herstellung von Fleischerzeugnissen verwendet werden.

Die im April 2021 veröffentlichte Neufassung der Leitsätze für Fisch und Fischerzeugnisse wurde jetzt noch punktuell an veränderte Marktgegebenheiten angepasst. So aktualisierte der Fachausschuss zum Beispiel die Beschreibung von Fischfilets, die bei Heringen für Fischdauerkonserven aus an der Rückenseite zusammenhängenden Heringsdoppelfilets mit Haut bestehen. Präzisiert wurden auch die Beschaffenheitsmerkmale hinsichtlich der Fischanteile bei verschiedenen Fischkonserven: Unterschiede gibt es nun zwischen Erzeugnissen im eigenen Saft, in pflanzlichem Speiseöl oder in Aufguss gegenüber Erzeugnissen in Soßen oder Cremes sowie im Vergleich zu Erzeugnissen mit wertgebenden stückigen Beilagen pflanzlicher Herkunft wie etwa Gemüseteilen. Neben der bisherigen Anlage, in der für Deutschland eingetragene geschützte geographische Angaben (g.g.A.) aufgeführt werden, beinhaltet der geänderte Leitsatz jetzt eine Anlage 2 – darin wird eine eingetragene garantiert traditionelle Spezialität (g.t.S.) genannt.

Die aus dem Jahr 2011 stammende Neufassung der Leitsätze für Honig wurde erstmals aktualisiert. Dabei ging es insbesondere um die Anpassung von Fußnoten, aber auch um die Änderung des Begriffes „Verkehrsbezeichnung“, der in „Bezeichnung des Lebensmittels“ überführt wurde. Darüber hinaus beschreiben die Leitsätze nun unter „Honige aus Gebirgs- und Berglandschaften“ sowohl Gebirgs- und Berghonig als auch Gebirgsblüten- und Bergblütenhonig.

Die Leitsätze für Speiseeis, deren Neufassung 2016 veröffentlicht wurde, erfuhren bei der aktuellen Überarbeitung nur wenige Änderungen. Als wesentlich ist vor allem die Ergänzung von Vanillemark als geschmackgebende Zutat für Vanilleeis zu bezeichnen. Daneben erfolgten zwei sprachliche Verbesserungen und einige Fußnotenanpassungen.

Auch noch geändert:

Eine weitere Änderung bezieht sich auf die Hinweise für die Anwendung der Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches, die vom Präsidium der DLMBK herausgegeben werden. Die jetzt vorgenommene Anpassung betrifft Produkte, bei denen eine Abweichung von der Beschreibung in den Leitsätzen festgestellt wird. Bislang wurde die Rechtssituation dazu recht ausführlich beschrieben. Zudem sollten die genannten Kenntlichmachungsbeispiele eine Hilfestellung sein. Doch offensichtlich führten die Ausführungen zu Missverständnissen – insbesondere im Kreis der Lebensmittelüberwachung. Deshalb wurde der Absatz 4 jetzt prägnanter gefasst. Der Text lautet nun: „Weicht ein Lebensmittel von den Beschreibungen in den Leitsätzen ab, so ist diese Abweichung zur Vermeidung einer Irreführung der Verbraucher hinreichend und rechtskonform kenntlich zu machen.“ In der Praxis kommt man sowieso nicht umhin, jeden einzelnen Fall in seiner Gesamtheit zu prüfen.

Von der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission wurden folgende zwei Neufassungen bereits beschlossen, aber noch nicht veröffentlicht:

Neufassung der Leitsätze für Feinkostsalate

Neufassung der Leitsätze für Fruchtsaft und Fruchtnektar

Wer glaubt, dass mit der Zustimmung zu einer Leitsatzanpassung quasi schon die Veröffentlichung auf dem Tisch liegt, wird stets eines Besseren belehrt. Es folgen noch verschiedene, mitunter zeitintensive Schritte: Wenn die gesamte Kommission ihre Zustimmung zu einem vom zuständigen Fachausschuss erarbeiteten Leitsatzentwurf gegeben hat – bei der ersten Befassung im Plenum wird Einstimmigkeit verlangt, bei der zweiten Befassung müssen mehr als drei Viertel der Kommissionsmitglieder zustimmen – erfolgt zunächst die Rechtsprüfung innerhalb des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Liegt diese vor, ist im nächsten Schritt das Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) herzustellen. Erst danach kann die Veröffentlichung im Bundesanzeiger gestartet werden. Etwa zwei Wochen später veröffentlicht dann das Gemeinsame Ministerialblatt den neuen Leitsatz oder die Leitsatzänderung. Sobald beide Veröffentlichungen vorliegen, schaltet das BMEL das Dokument auch online frei. Diesen Abläufen ist geschuldet, dass die beiden genannten Neufassungen zwar das Plenum passiert haben, aber noch nicht veröffentlicht und online abrufbar sind.

Von den Fachausschüssen erarbeitet, aber vom Plenum nicht mit der erforderlichen Mehrheit verabschiedet:

Neufassung der Leitsätze für Erfrischungsgetränke

Änderung der Leitsätze für vegane und vegetarische Lebensmittel mit Ähnlichkeit zu Lebensmitteln tierischen Ursprungs

Anders als bei den beiden Neufassungen, mit deren Veröffentlichung über kurz oder lang zu rechnen ist, verhält es sich mit diesen zwei Leitsatzanpassungen. Sie bekamen im ersten Anlauf nicht die ungeteilte Zustimmung der Kommissionsmitglieder und verpassten auch bei der zweiten Befassung im Plenum die erforderliche Mehrheit – es fehlte jeweils eine Stimme. Das ist mehr als schade! Und das empfinde nicht nur ich als Vorsitzende der beiden Fachausschüsse und als Vorsitzende der gesamten DLMBK so. An beiden Leitsätzen wurde engagiert unter Einbeziehung von fachlich kompetenten Sachkennern auf der Grundlage zahlreicher, intensiv diskutierter Produktbeispiele aus dem Markt gearbeitet. An der ermittelten Verkehrsauffassung gab es m. E. nichts zu rütteln. Der jeweils im Fachausschuss verabschiedete Entwurf war schließlich auch die Basis für die dem Plenum vorgelegten Beschlussvorlagen. Es waren dann nicht die vereinzelten Gegenstimmen, sondern die zu vielen Stimmenthaltungen, die beide Leitsätze zu Fall brachten. Das schmerzt, denn jedes Kommissionsmitglied hat – so sehe ich das – die Aufgabe, sich zu positionieren. Wer sich nicht traut, es sich bequem machen will oder persönlichen Wunschträumen nachhängt, sollte sein übernommenes Amt prüfen.

Die DLMBK bietet auf allen Ebenen – von der Arbeitsgruppe über den Fachausschuss bis zum Plenum – die erforderliche Offenheit und Gelegenheit für Diskussionen, Einwendungen und Fragen. Allerdings muss man auch für Argumente offen sein. Die gesetzlich verankerte Aufgabe der Kommissionsmitglieder ist es, die allgemein gültige Verkehrsauffassung zu ermitteln. Das Ziel kann und darf nicht sein, private Wünsche und marktferne Ideen durchzusetzen. „Mach dir deine Welt, wie sie dir gefällt“, ist der falsche Ansatz für Leitsatzbeschreibungen! Das gilt auch dann, wenn wie im Falle des üblichen Zuckergehalts von Limonaden ernährungsphysiologische Erkenntnisse der Beschaffenheit im Handel befindlicher Produkte widersprechen. Jeder kann seine Wahl frei treffen und kaufen, was er möchte. Es gibt nicht den Einheitsverbraucher, den man schützen muss! Jeder Konsument bringt andere Bedürfnisse, Wünsche und Voraussetzungen mit. Deshalb kommt es vielmehr darauf an, die Käuferschaft in die Lage zu versetzen, zwischen den einzelnen Produkt-Beschaffenheiten zu unterscheiden. Es bedarf also der Information und Aufklärung, nicht aber vorgeschriebener oder verbotener Rezepturen!

Aufgrund dieser versagten Zustimmungen zu zwei guten, tragfähigen Kompromissvorschlägen müssen wir uns bedauerlicherweise nun mit den beiden bisherigen Fassungen dieser Leitsätze begnügen. Sie gelten weiter, wenngleich sie die aktuelle Verkehrsauffassung nicht mehr optimal beschreiben. Bleibt zu hoffen, dass die neu berufene Kommission das Versäumte richten kann. Im Falle der veganen und vegetarischen Lebensmittel mit Ähnlichkeit zu Lebensmitteln tierischen Ursprungs wird es ganz sicher weitergehen, denn der gescheiterte Entwurf war schließlich der Konsens, den Vertreter aller Kreise der DLMBK genauso wie die beteiligten Sachkundigen für eine bessere Verständlichkeit und eine leichtere Anwendung in der täglichen Praxis erarbeitet hatten.

Wenn es am schönsten ist, soll man gehen:

Lassen Sie mich am Ende dieser Berufungsperiode noch ein paar persönliche Gedanken äußern. Nach 22,5 Jahren Mitarbeit in der DLMBK – 12,5 Jahre davon als Vorsitzende – verlässt man das Gremium mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Das Ehrenamt hat mich sehr viel Zeit gekostet. Manche hitzige Diskussion hat auch mir schlaflose Nächte bereitet. Stets war voller Einsatz gefragt, nicht nur in den Präsidiums- und Plenarsitzungen, sondern auch in den vier Fachausschüssen, die ich leitete. Mit Fakten und fachlicher Kompetenz zu überzeugen, war immer meine Devise. Zusätzlich kam es auf Verhandlungsgeschick, Kampfesgeist und Durchsetzungsvermögen an. Zu moderieren, ohne einseitig die Verbraucherbrille aufzuhaben, fiel mir nicht schwer. Der Lohn waren schließlich viele gemeinsam erarbeitete Kompromisslösungen, auf die alle stolz sein konnten. Die zahlreichen anerkennenden Worte und herzlichen Zeilen, die mich am Ende der sehr interessanten und aufregenden Zeit erreichten, bringen all das zum Ausdruck. Danke.

Die letzte Berufungsperiode, die sechs Jahre dauerte, war die intensivste und zugleich auch die erfolgreichste Zeit. Nach der Evaluierung und der Reform der DLMBK 2016 ging es steil aufwärts, vor allem dank der unermüdlichen Unterstützung durch das Sekretariat und die Geschäftsstelle der DLMBK. Insgesamt hatten wir 184,5 Sitzungstage zu bewältigen – 80 davon unter meiner Leitung. Alle 23 Leitsätze wurden auf Aktualität geprüft, 17 davon geändert oder gar neu gefasst. Selbst in der Pandemiezeit ließ unsere Aktivität nicht nach. Ein Beleg dafür sind auch die in dieser Buchausgabe aufgeführten Leitsatzanpassungen.

Mit mir haben nun weitere 14 Mitglieder die DLMBK verlassen – die meisten altersbedingt, denn man muss zum Zeitpunkt der Berufung noch aktiv im Berufsleben stehen, so schreibt es die Satzung vor. Korrekt wäre also die Aussage „Wenn es am schönsten ist, müssen wir gehen.“ Ich wünsche jedenfalls allen Ausgeschiedenen einen glücklichen neuen Lebensabschnitt bei bester Gesundheit.

Den verbliebenen und den inzwischen neu berufenen Kommissionsmitgliedern, die alle auf der Homepage der DLMBK namentlich aufgeführt sind, wünsche ich viel Erfolg und Freude in ihrem Ehrenamt. Auf Basis der jüngsten Evaluierung der DLMBK sind die Weichen für gutes Gelingen gestellt, sofern man außerdem ein paar Regeln beachtet: Hängen Sie nicht persönlichen Wunschvorstellungen nach, sondern orientieren Sie sich am Markt; suchen Sie nach Kompromissen und halten Sie das Konsensprinzip hoch. Dieses ist der Garant für die allgemeine Akzeptanz des Deutschen Lebensmittelbuches! Nur wem es gelingt, über seinen eigenen Schatten zu springen und mit Respekt und Achtung anderen Auffassungen zu begegnen, wird Freude an diesem Ehrenamt haben. Bedenken Sie: Jede Leitsatzüberarbeitung ist ein Schritt nach vorn – auch dann, wenn sie vielleicht (noch) nicht für jeden die perfekte Lösung ist.

Ich wünsche der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission nach 60 Jahren ihres Bestehens weiterhin viel Erfolg und bedanke mich für viele gemeinsame Jahre, in denen ich sie mitgestalten durfte.



Die ehemalige Vorsitzende der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission

Dr. Birgit Rehlender