Hinweise für die Anwendung der Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches

Leitsätze – Anwendungshinweise
nicht-amtliches Inhaltsverzeichnis

überarbeitete Fassung der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission (DLMBK) vom 15.03.2022

Oberste Maxime im Lebensmittelverkehr ist der gesundheitliche Verbraucherschutz und der Schutz vor Täuschung.

Der Schutz vor Täuschung ist gewährleistet, wenn ein Lebensmittel in Zusammensetzung und Kennzeichnung der Verkehrsauffassung, also der redlichen Herstellungspraxis und der berechtigten Verbrauchererwartung, entspricht.

Werden Lebensmittel in den Verkehr gebracht, ist es von großer Bedeutung, die maßgebliche Verkehrsauffassung zu ermitteln und die richtige Bezeichnung des Lebensmittels1 zu finden, die von den Verbrauchern und den übrigen am Lebensmittelverkehr beteiligten Kreisen für das jeweilige Produkt akzeptiert wird.

In der Europäischen Union gibt es nur in Ausnahmefällen eine einheitliche Verkehrsauffassung. Es gilt vielmehr der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der jeweils bestehenden nationalen Verkehrsauffassungen. In Deutschland wird die Verkehrsauffassung für viele Lebensmittel in den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuches beschrieben.

Die Leitsätze sind deshalb für Hersteller, Handel, Importeur, Verbraucher, Überwachung und Gerichte eine wichtige Orientierungshilfe. Bei ihrer Anwendung sind die folgenden Hinweise zu beachten.

1.

Die Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches sind keine Rechtsnormen und damit nicht rechtsverbindlich. Auch kommt ihnen nicht der Charakter von Verwaltungsrichtlinien zu. In Beurteilungen und Stellungnahmen sind die Leitsätze deshalb als Auslegungshilfe, nicht aber als Rechtsgrundlage zitierbar. Sie schränken auch keinesfalls die Zulässigkeit dessen ein, was nach nationalem oder Gemeinschaftsrecht erlaubt ist.

2.

Leitsätze haben den Charakter objektivierter Sachverständigengutachten. Sie beschreiben die allgemeine Verkehrsauffassung über die Zusammensetzung und die sonstige Beschaffenheit der erfassten Produkte und bringen die hiernach zutreffende verkehrsübliche Bezeichnung des Lebensmittels im Sinne der Lebensmittel-Informations­verordnung (LMIV) zum Ausdruck. Sie sind darüber hinaus vorrangige Auslegungshilfe für die Beantwortung der Frage, ob eine Irreführung im Sinne der Vorschriften des Lebensmittelrechts vorliegt.

3.

Die Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches beschreiben die allgemein anerkannte Verkehrsauffassung. In Ausnahmefällen können sie zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung auch Beschreibungen enthalten, zu denen sich noch keine allgemein anerkannte Verkehrsauffassung herausgebildet hat. In diesen Fällen war entweder keine Verkehrsauffassung vorhanden, oder die Verkehrsauffassung hatte sich in eine unerwünschte Richtung entwickelt. Prägende Leitsätze nehmen die Entwicklung einer erstmaligen oder geänderten Verkehrsauffassung durch Beschreibung einer bis dato nicht als anerkannt geltenden Verkehrsauffassung vorweg. Dabei ist zu berücksichtigten, dass die Hersteller und die Lieferkette in Produktion und Kennzeichnung die Anpassungen vornehmen müssen, um die neue Verkehrsauffassung wirksam werden zu lassen. Dafür ist der für die Beteiligten erforderliche Zeitraum im Einzelfall zu prüfen und ein angemessener Übergangszeitraum zu tolerieren.

4.

Weicht ein Lebensmittel von den Beschreibungen in den Leitsätzen ab, so ist diese Abweichung zur Vermeidung einer Irreführung der Verbraucher hinreichend und rechtskonform kenntlich zu machen.

5.

Bestehen jedoch Zweifel, ob bereits ein im Wesen anderes Lebensmittel (Aliud) vorliegt und damit die verwendete Bezeichnung des Lebensmittels nicht mehr zutreffend ist, hat die/der Sachverständige bei der Interpretation der Leitsätze die herkömmlichen Regeln der Normauslegung entsprechend anzuwenden. Von einem Aliud ist beispielsweise dann regelmäßig auszugehen, wenn in dem entsprechenden Leitsatz für ein Lebensmittel mit der festgestellten Beschaffenheit eine andere verkehrsübliche Bezeichnung aufgeführt ist. Die ursprünglich gewählte Bezeichnung wird dann regelmäßig nicht den Vorgaben des Artikels 17 Absatz 1 LMIV entsprechen und ggf. als irreführend im Sinne von Artikel 7 Absatz 1 LMIV zu beurteilen sein.

6.

Für ein Lebensmittel in einer Verpackung, das mit einer bestimmten Bezeichnung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum rechtmäßig in Verkehr ist, dem betreffenden Leitsatz aber nicht entspricht, regelt Artikel 17 Absatz 2 LMIV, dass dieses Lebensmittel grundsätzlich auch im Inland unter dieser Bezeichnung in den Verkehr gebracht werden darf. Diese Bezeichnung ist durch weitere beschreibende Informationen zu ergänzen, wenn anderenfalls, insbesondere unter Berücksichtigung der sonstigen in der Verordnung vorgeschriebenen Angaben, der Verbraucher nicht in der Lage wäre, die Art des Lebensmittels zu erkennen und es von verwechselbaren Erzeugnissen zu unterscheiden.

7.

Die Leitsätze werden regelmäßig durch die Kommission überprüft und ggf. geändert. Darüber hinaus können Erkenntnisse, dass sich die Verkehrsauffassung geändert hat, zur Überprüfung des entsprechenden Leitsatzes auf dem üblichen Weg an das Sekretariat der Lebensmittelbuch-Kommission herangetragen werden.


1

In den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuches wurde bisher der Begriff „Verkehrsbezeichnung“ verwendet, wie er in der Lebensmittel-Kennzeichnungs­verordnung (LMKV) und in der dieser zugrunde liegenden Richtlinie 2000/13/EG vorgegeben war. In der LMIV wird nun der Begriff „Bezeichnung des Lebensmittels“ verwendet. Diese Terminologie wird künftig sukzessive bei der Überarbeitung der Leitsätze übernommen.