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Verordnung (EU) 2017/2158 der Kommission zur Festlegung von Minimierungsmaßnahmen und Richtwerten für die Senkung des Acrylamidgehalts in Lebensmitteln

Vom 20. November 2017

nicht-amtliches Inhaltsverzeichnis

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION –

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 852/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über Lebensmittelhygiene1, insbesondere auf Artikel 4 Absatz 4,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1) Die Verordnung (EG) Nr. 852/2004 soll ein hohes Verbraucherschutzniveau bei der Lebensmittelsicherheit gewährleisten. Sie definiert „Lebensmittelhygiene“ als die Maßnahmen und Vorkehrungen, die notwendig sind, um Gefahren unter Kontrolle zu bringen und zu gewährleisten, dass ein Lebensmittel unter Berücksichtigung seines Verwendungszwecks für den menschlichen Verzehr tauglich ist. Gefahren für die Lebensmittelsicherheit treten auf, wenn Lebensmittel gefährlichen Stoffen ausgesetzt sind, die das Lebensmittel kontaminieren. Gefahren für die Lebensmittelsicherheit können biologischer, chemischer oder physikalischer Natur sein.

(2) Acrylamid ist ein Kontaminant im Sinne der Verordnung (EWG) Nr. 315/93 des Rates2 und als solcher eine chemische Gefahr in der Lebensmittelkette.

(3) Acrylamid ist eine niedermolekulare, sehr gut wasserlösliche organische Verbindung, die sich aus den natürlich vorkommenden Bestandteilen Asparagin und Zucker in bestimmten Lebensmitteln bildet, wenn diese bei höheren Temperaturen, typischerweise über 120 °C, und geringer Feuchtigkeit zubereitet werden. Es entsteht hauptsächlich in gebackenen, gebratenen oder frittierten kohlenhydratreichen Lebensmitteln, deren Rohstoffe seine Vorstufen enthalten, wie beispielsweise Getreide, Kartoffeln/Erdäpfel und Kaffeebohnen.

(4) Da der Acrylamidgehalt in einigen Lebensmitteln signifikant höher ist als in vergleichbaren Erzeugnissen derselben Produktkategorie, werden die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten in der Empfehlung 2013/647/EU der Kommission3 aufgefordert, die Produktions- und Verarbeitungsverfahren der Lebensmittelunternehmer zu untersuchen, wenn der in einem bestimmten Lebensmittel festgestellte Acrylamidgehalt die Richtwerte im Anhang der genannten Empfehlung überschreitet.

(5) 2015 hat das Wissenschaftliche Gremium für Kontaminanten in der Lebensmittelkette (CONTAM) bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (im Folgenden die „Behörde“) ein Gutachten zu Acrylamid in Lebensmitteln vorgelegt4. Ausgehend von Tierversuchen bestätigt die Behörde frühere Einschätzungen, wonach Acrylamid in Lebensmitteln das Krebsrisiko für Verbraucher aller Altersgruppen potenziell erhöhe. Da Acrylamid in einer Vielzahl alltäglicher Lebensmittel vorliege, betreffe dies alle Verbraucherinnen und Verbraucher, aber bezogen auf das Körpergewicht seien Kinder die am stärksten exponierte Altersgruppe. Mögliche schädliche Auswirkungen von Acrylamid auf das Nervensystem, die prä- und postnatale Entwicklung und die männliche Fortpflanzung würden ausgehend von der aktuellen ernährungsbedingten Exposition nicht als bedenklich eingestuft. Der gegenwärtige Grad der Exposition gegenüber Acrylamid durch die Nahrungsaufnahme sei für alle Altersgruppen mit Blick auf seine karzinogene Wirkung bedenklich.

(6) Angesichts der Schlussfolgerungen der Behörde in Bezug auf die karzinogene Wirkung von Acrylamid und da keinerlei kohärente, verbindliche Maßnahmen zur Senkung des Acrylamidgehalts für Lebensmittelunternehmer gelten, ist es notwendig, die Lebensmittelsicherheit und die Senkung des Acrylamidgehalts in Lebensmitteln, deren Rohstoffe Acrylamid-Vorstufen enthalten, durch Festlegung geeigneter Minimierungsmaßnahmen zu gewährleisten. Der Acrylamidgehalt kann durch ein Minimierungskonzept, etwa durch die Umsetzung einer guten Hygienepraxis sowie die Anwendung der Grundsätze des HACCP-Konzepts (Hazard Analysis and Critical Control Point), gesenkt werden.

(7) Gemäß Artikel 4 der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 müssen die Lebensmittelunternehmer die Verfahren anwenden, die notwendig sind, um den Zielen zu entsprechen, die zur Erreichung der Ziele jener Verordnung gesetzt worden sind, sowie geeignete Probenahme- und Analyseverfahren einsetzen, um ihre eigene Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Diesbezüglich kann die Festlegung von Zielvorgaben, etwa von Richtwerten, für die Umsetzung von Hygienevorschriften als Orientierung dienen und gleichzeitig die Exposition gegenüber bestimmten Gefahren senken. Minimierungsmaßnahmen würden den Acrylamidgehalt in Lebensmitteln senken. Zur Überprüfung der Einhaltung der Richtwerte sollte die Wirksamkeit der Minimierungsmaßnahmen durch Probenahmen und Analysen kontrolliert werden.

(8) Es ist mithin angezeigt, Minimierungsmaßnahmen festzulegen, in denen Lebensmittelverarbeitungsschritte benannt sind, bei denen Acrylamid in Lebensmitteln entstehen kann, und Maßnahmen zur Senkung des Acrylamidgehalts in diesen Lebensmitteln aufgeführt werden.

(9) Die in dieser Verordnung aufgeführten Minimierungsmaßnahmen stützen sich auf den gegenwärtigen Kenntnisstand in Wissenschaft und Technik und führen nachweislich zur Senkung des Acrylamidgehalts, ohne die Qualität und die mikrobielle Sicherheit des Produkts zu beeinträchtigen. Diese Minimierungsmaßnahmen wurden nach umfassender Konsultation von Verbänden der betroffenen Lebensmittelunternehmer, Verbrauchern und Experten zuständiger Behörden der Mitgliedstaaten festgelegt. Umfassen die Minimierungsmaßnahmen die Verwendung von Lebensmittelzusatzstoffen und anderen Stoffen, so sollten diese Lebensmittelzusatzstoffe und anderen Stoffe entsprechend ihrer Verwendungszulassung eingesetzt werden.

(10) Die Richtwerte sind Leistungsindikatoren zur Überprüfung der Wirksamkeit der Minimierungsmaßnahmen; sie stützen sich auf Erfahrungswerte und Erkenntnisse über das Auftreten von Acrylamid bei großen Lebensmittelkategorien. Sie sollten auf dem niedrigsten Niveau festgesetzt werden, das mit Anwendung aller einschlägigen Minimierungsmaßnahmen nach vernünftigem Ermessen erreichbar ist. Die Richtwerte sollten unter Berücksichtigung der jüngsten Daten über das Auftreten von Acrylamid aus der Datenbank der Behörde festgesetzt werden, wobei angenommen wird, dass bei einer großen Lebensmittelkategorie der Acrylamidgehalt in den 10 % bis 15 % der Produktion mit dem höchsten Gehalt normalerweise durch Anwendung guter Praxis gesenkt werden kann. Es wird eingeräumt, dass die spezifischen Lebensmittelkategorien in bestimmten Fällen weit gefasst sind und für einzelne Lebensmittel innerhalb einer solchen großen Lebensmittelkategorie besondere Produktionsbedingungen, geographische oder saisonale Verhältnisse oder Produktmerkmale vorliegen können, die trotz Anwendung aller Minimierungsmaßnahmen das Erreichen der Richtwerte verhindern. In einer solchen Situation sollte der Lebensmittelunternehmer nachweisen können, dass er die einschlägigen Minimierungsmaßnahmen angewandt hat.

(11) Die Richtwerte sollten regelmäßig von der Kommission überprüft werden, mit dem Ziel, jeweils niedrigere Werte festzusetzen, die die kontinuierliche Absenkung des Acrylamidgehalts in Lebensmitteln widerspiegeln.

(12) Lebensmittelunternehmer, die Lebensmittel herstellen, die unter diese Verordnung fallen, und als Einzelhändler tätig sind und/oder lediglich den örtlichen Einzelhandel direkt beliefern, sind typischerweise Kleinunternehmer. Deshalb werden die Minimierungsmaßnahmen an die Art ihrer Tätigkeit angepasst. Hingegen sollten Lebensmittelunternehmer, die Teil oder Franchisenehmer größerer, vernetzter Wirtschaftstätigkeiten sind und zentral beliefert werden, zusätzliche Minimierungsmaßnahmen, die für größere Firmen praktikabel sind, anwenden, da solche Maßnahmen den Acrylamidgehalt in Lebensmitteln weiter verringern und für diese Unternehmen machbar sind.

(13) Die Wirksamkeit der Minimierungsmaßnahmen zur Senkung des Acrylamidgehalts sollte durch Probenahmen und Analysen überprüft werden. Es ist angezeigt, Anforderungen für die Probenahmen und die Analysen, die von den Lebensmittelunternehmern durchgeführt werden müssen, festzulegen. Für die Probenahme sollten Analyseanforderungen und Häufigkeit festgelegt werden, um sicherzustellen, dass die Analyseergebnisse für die Produktion des Unternehmens repräsentativ sind. Lebensmittelunternehmer, die Lebensmittel herstellen, die unter diese Verordnung fallen, und als Einzelhändler tätig sind und/ oder lediglich den örtlichen Einzelhandel direkt beliefern, werden von der Pflicht zur Probenahme und Analyse ihrer Produktion auf das Vorhandensein von Acrylamid ausgenommen, da ein solches Erfordernis für ihr Unternehmen eine unverhältnismäßige Belastung wäre.

(14) Neben den Probenahmen und Analysen durch die Unternehmer sind regelmäßige amtliche Kontrollen durch die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung der Einhaltung des Lebensmittel- und des Futtermittelrechts in der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates5 vorgeschrieben. Die von den Mitgliedstaaten im Rahmen amtlicher Kontrollen durchgeführten Probenahmen und Analysen sollten den im Rahmen der Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 festgelegten Probenahmeverfahren und Analysekriterien genügen.

(15) Ergänzend zu den in dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen sollte nach deren Inkrafttreten die Festlegung von Höchstgehalten für Acrylamid in bestimmten Lebensmitteln gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 315/93 in Betracht gezogen werden.

(16) Die Durchführung der Minimierungsmaßnahmen durch die Lebensmittelunternehmer könnte Änderungen ihrer gegenwärtigen Produktionsverfahren bedingen; daher ist es angezeigt, einen Übergangszeitraum bis zum Geltungsbeginn der Maßnahmen gemäß dieser Verordnung vorzusehen.

(17) Die in dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen entsprechen der Stellungnahme des Ständigen Ausschusses für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel –

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:


1

ABl. L 139 vom 30.4.2004, S. 1.

2

Verordnung (EWG) Nr. 315/93 des Rates vom 8. Februar 1993 zur Festlegung von gemeinschaftlichen Verfahren zur Kontrolle von Kontaminanten in Lebensmitteln (ABl. L 37 vom 13.2.1993, S. 1).

3

Empfehlung 2013/647/EU der Kommission vom 8. November 2013 zur Untersuchung des Acrylamidgehalts von Lebensmitteln (ABl. L 301 vom 12.11.2013, S. 15).

4

EFSA Journal 2015;13(6):4104.

5

Verordnung (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz (ABl. L 165 vom 30.4.2004, S. 1).