Es ist vollbracht! Nachdem der Bundestag das Vierte Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs sowie anderer Vorschriften (nachfolgend „4. LFGB-Änderungsgesetz“) in zweiter und dritter Lesung am 20. Mai 2021 angenommen hatte, erteilte dem Gesetz auch der Bundesrat in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause am 25. Juni 2021 die Zustimmung. Mit der Veröffentlichung des 4. LFGB-Änderungsgesetzes im Bundesgesetzblatt am 9. August 2021 und seiner Geltung ab dem 10. August 2021 geht ein jahrelanger Prozess zu Ende. Denn bereits im April 2015 hatte das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft den ersten Entwurf eines 4. LFGB-Änderungsgesetzes vorgelegt.
Zu begrüßen ist zunächst, dass im Rahmen des 4. LFGB-Änderungsgesetzes Regelungen
entfallen, die aufgrund der weit vorangeschrittenen Harmonisierung des
Lebensmittelrechts im nationalen Recht überflüssig geworden sind. Als Beispiel ist
insoweit etwa die Aufhebung des § 6
LFGB zu nennen, die der Gesetzgeber ausdrücklich damit
begründet, dass für „das in § 6 LFGB
statuierte bundesrechtliche Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“ aufgrund
der verbindlich und unmittelbar für Zusatzstoffe geltenden Verordnung (EG) Nr. 1333/2008
„kein Anwendungsbereich mehr“ besteht (vgl. Bundestags-Drucksache 19/25319, S.
48). Auch bloße Verweise in nationalen Vorschriften auf in EU-Verordnungen
erfolgende Legaldefinitionen werden aufgrund der nach Art. 288 Abs. 2 Vertrag
Die Ablösung der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 über amtliche Kontrollen durch die EU-Kontrollverordnung (Verordnung (EU) 2017/625) im Dezember 2019 hat des Weiteren eine Überarbeitung der im Abschnitt 7 LFGB mit „Überwachung“ überschriebenen Vorschriften – konkret der §§ 38 ff. LFGB – erforderlich gemacht. So enthalten bereits Art. 137 und Art. 138 Verordnung (EU) 2017/625 „ausführliche Regelungen über die im Verdachtsfall sowie nach Feststellung eines Verstoßes von den zuständigen Behörden zu treffenden Maßnahmen“, weshalb etwa der bisherige Maßnahmenkatalog in § 39 Abs. 2 LFGB als „weitgehend verzichtbar“ angesehen und entsprechend abgeändert wurde (vgl. Bundestags-Drucksache 19/25319, S. 2). Die für nicht dem Anwendungsbereich der Verordnung (EU) 2017/625 unterfallende Bedarfsgegenstände, kosmetische Mittel und Mittel zum Tätowieren weiterhin national erforderlichen Regelungen zu Maßnahmen der für die Überwachung zuständigen Behörden finden sich nun in § 39a LFGB, während der mit dem 4. LFGB-Änderungsgesetz an die Verordnung (EU) 2017/625 angepasste § 39 LFGB nur noch für Lebensmittel, Futtermittel und Lebensmittelbedarfsgegenstände gilt und dabei insbesondere auf Art. 137 und Art. 138 Verordnung (EU) 2017/625 Bezug nimmt.
Über eine für die Lebensmittelwirtschaft besondere praktische Relevanz verfügen
wohl die im Rahmen des 4.
LFGB-
Stoffe mit ernährungsbezogener oder physiologischer Wirkung, Mineralstoffe und Spurenelemente sowie Aminosäuren und die Vitamine A und D waren bisher nach § 2 Abs. 3 Satz 2 LFGB den Lebensmittelzusatzstoffen gleichgestellt. Dies hatte zur Folge, dass sie über § 4 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) und Nr. 2 LFGB (a.F.) wie Zusatzstoffe einem grundsätzlichen Verbot mit Erlaubnisvorbehalt unterfielen. Nachdem die Gleichstellung von Stoffen mit ernährungsbezogener oder physiologischer Wirkung mit Zusatzstoffen und das sich daraus ergebende grundsätzliche Verbot national höchstrichterlich bereits vor Jahren als rechtswidrig eingestuft worden war (vgl. dazu etwa BVerwG, Urteil vom 1. März 2012 (Az. 3 C 15/11)), stellte der Europäische Gerichtshof die Europarechtswidrigkeit der Gleichstellung von Aminosäuren mit Zusatzstoffen und des damit einhergehenden grundsätzlichen Verbots mit Urteil vom 19. Januar 2017 (Rs. C-282/15) fest. Konkret verstoßen die vorbehaltlose Gleichstellung aller Aminosäuren mit Zusatzstoffen und das damit einhergehende grundsätzliche Verbot von Aminosäuren nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs gegen den sich aus Art. 6 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ergebenden Grundsatz der Risikoanalyse und gegen das in Art. 7 der Verordnung geregelte Vorsorgeprinzip.
Als Folge dieser höchstrichterlichen europäischen und nationalen Rechtsprechung
wurde § 2 Abs. 3 LFGB im
Rahmen des 4.
LFGB-Änderungsgesetzes – ebenso wie die sich aus § 6 LFGB ergebenden Verbote und der
bisherige Verweis in § 4 Abs. 1 Nr. 2
LFGB (a.F.) – gestrichen. Gleichzeitig wird das
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gemäß eines im Rahmen des
„im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats, soweit es insbesondere unter Berücksichtigung ernährungsphysiologischer Erfordernisse zur Erfüllung der in § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2, jeweils auch i.V.m. § 1 Abs. 3 LFGB genannten Zwecke erforderlich ist,
1. |
beim Herstellen oder Behandeln von Lebensmitteln den Zusatz von bestimmten Vitaminen, Mineralstoffen, Aminosäuren und deren Derivaten sowie anderen Stoffen mit ernährungsbezogener oder physiologischer Wirkung zu verbieten oder zu beschränken, |
2. |
Höchstmengen oder Mindestmengen für den Gehalt an in Nr. 1 genannten Stoffen in Lebensmitteln und Reinheitsanforderungen für in Nr. 1 genannte Stoffe festzusetzen.“ |
Des Weiteren enthält Art. 3 des 4. LFGB-Änderungsgesetzes einen neu in das Gesetz über den Übergang auf das neue Lebensmittel- und Futtermittelrecht eingefügten § 1a, über den unter anderem die Gleichstellung von Mineralstoffen, Spurenelementen sowie der Vitamine A und D mit Zusatzstoffen nach § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 4 LFGB (a.F.) trotz Streichung des § 2 Abs. 3 in Art. 1 des 4. LFGB-Änderungsgesetzes gleichwohl fortgelten soll, indem dort ausgeführt wird:
„(1) § 2 Absatz 3 Satz 2 Nummer 2 und 4, jeweils in Verbindung mit § 4 Absatz 1
Nummer 2 und § 6 Absatz 1 sowie § 59 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 und § 60 Absatz 1 Nummer 2 des Lebensmittel- und
Futtermittelgesetzbuchs sind in der bis zum 9. August 2021
geltenden Fassung weiterhin anzuwenden, solange und soweit noch nicht
1. |
eine unmittelbar geltende Vorschrift in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union gilt, die inhaltlich einer Regelung entspricht, zu der § 7 Absatz 2 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs in der ab dem 10. August 2021 geltenden Fassung ermächtigt, oder |
2. |
auf Grund der Ermächtigung des § 7 Absatz 2 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs in der ab dem 10. August 2021 geltenden Fassung neue Regelungen getroffen worden sind. |
(2) Auf Sachverhalte, die vor dem 10. August 2021 entstanden sind, sind die in Absatz 1 genannten Vorschriften hinsichtlich der Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten weiter anzuwenden.“
Obwohl höchstrichterlich sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene entschieden worden ist, dass die in § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 3 LFGB (a.F.) geregelte Gleichstellung von Stoffen mit ernährungsbezogener oder physiologischer Wirkung sowie von Aminosäuren mit Zusatzstoffen europarechtswidrig ist und für Mineralstoffe, Spurenelemente sowie für die Vitamine A und D insbesondere auch unter Berücksichtigung der bereits seit 2007 verbindlich und unmittelbar in den Mitgliedstaaten geltenden Verordnung (EG) Nr. 1925/2006 letztlich nichts anderes gelten kann, sollen die sich aus § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 4 LFGB (a.F.) ergebende Gleichstellung mit Zusatzstoffen und das damit einhergehende grundsätzliche Verbot nach dem Willen des Gesetzgebers gleichwohl über § 1a Gesetz über den Übergang auf das neue Lebensmittel- und Futtermittelrecht fortgelten. In der Amtlichen Begründung wird dazu Folgendes ausgeführt:
„Die Vorschrift dient der aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes
notwendigen Vermeidung von Regelungslücken sowie der Vermeidung von
Strafbarkeitslücken und Lü
Ob diese Weitergeltung des § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 4 LFGB (a.F.) quasi „durch die Hintertür“ des § 1a Gesetz über den Übergang auf das neue Lebensmittel- und Futtermittelrecht tatsächlich den von der Rechtsprechung erarbeiteten Vorgaben genügt, bleibt abzuwarten und wird von betroffenen Unternehmen gegebenenfalls gerichtlich zu klären sein.
In
§ 40 Abs. 1a LFGB
werden über das 4.
LFGB-Änderungsgesetz neben redaktionellen Änderungen auch zwei
Forderungen der Bundesländer nach gesetzlicher Klarstellung aufgegriffen, die der
Bundesrat bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Ersten Gesetz zur
Änderung des Lebensmittel- und
Futtermittelgesetzbuchs an die Bundesregierung gerichtet hatte
(vgl. Bundestags-Drucksache 19/25319, S. 55). So soll zum einen durch die
Einfügung der Wörter „oder die Voraussetzungen des § 41 des Gesetzes über
Ordnungswidrigkeiten vorliegen“ klargestellt werden, dass
Veröffentlichungen nach § 40 Abs. 1a
LFGB auch dann zu erfolgen haben, wenn statt eines Bußgelds in
Höhe von mindestens 350 Euro alternativ mit der Einleitung eines Strafverfahrens
zu rechnen ist. Des Weiteren wird mit der neu angefügten Formulierung „Bei
Verstößen gegen hygienische Anforderungen kann abweichend von Satz 1 in der
Information der Name des Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmers sowie der
Betrieb, in dem der Verstoß festgestellt wurde, genannt werden“
klargestellt, dass schwere hygienische Verstöße auch dann veröffentlicht wer
Mit der neugefassten Regelung in § 44 Abs. 3 Satz 2 LFGB sollen Produktrückrufe effektiver gestaltet werden. Gefordert wird dort nun konkret, dass die nach Art. 18 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 erforderlichen Informationen von Lebensmittelunternehmen für den Krisenfall so vorzuhalten sind, dass sie der zuständigen Behörde spätestens 24 Stunden nach Aufforderung elektronisch übermittelt werden können. Dadurch soll den zuständigen Behörden eine schnelle und unkomplizierte Weiterverarbeitung ermöglicht werden, was für eine erfolgreiche Krisenbewältigung unabdingbar sei (vgl. Bundestags-Drucksache 19/25319, S. 58).
Weitere Änderungen des Lebensmittel- und
Futtermittelgesetzbuchs im Rahmen des 4. LFGB-Änderungsgesetzes betreffen
insbesondere weitere Anpassungen an die Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 in
§§ 11, 13 und 35 LFGB, die
Schaffung zusätzlicher behördlicher Befugnisse zur Überwachung des Internethandels
mit Erzeugnissen sowie die Straffung der Mitteilungs- und Übermittlungspflichten
über Untersuchungsergebnisse zu gesundheitlich nicht erwünschten Stoffen
(§ 44a LFGB).