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Erläuternde Mitteilung der Kommission über die Verkehrsbezeichnung von Lebensmitteln (91/C 270/02)

Vom 15. Oktober 1991

nicht-amtliches Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Durch die vorliegende Mitteilung wird die Mitteilung der Kommission über den freien Verkehr mit Lebensmitteln innerhalb der Gemeinschaft ergänzt. Letztere präzisiert die Auslegung der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag im Lebensmittelbereich, soweit eine erschöpfende Gemeinschaftsregelung fehlt. Zu diesem Zweck behandelt sie Fragen im Zusammenhang mit dem freien Verkehr von Lebensmitteln und beschreibt die Pflichten der Mitgliedstaaten und die Rechte der Wirtschaftsbeteiligten.

Eine Reihe von Punkten bedürfen jedoch einer genaueren Darstellung, insbesondere unter Berücksichtigung der konkreten Fälle, die die Kommission beschäftigt haben und die sie einer Lösung zugeführt hat.

Die Kommission beabsichtigt deshalb, einige in der allgemeinen Mitteilung behandelte Fragen in besonderen erläuternden Mitteilungen näher auszuführen, soweit sich dies als notwendig erweisen sollte. Eine solche Notwendigkeit ergibt sich hinsichtlich der in der allgemeinen Mitteilung bereits ausführlich dargestellten Problematik der Verwendung von Verkehrsbezeichnungen, soweit es sich um die Voraussetzungen handelt, unter denen ein Bestimmungsmitgliedstaat berechtigt ist, für ein eingeführtes Erzeugnis eine andere Verkehrsbezeichnung vorzuschreiben als die, unter der das Erzeugnis im Herstellungsmitgliedstaat in den Verkehr gebracht wird.

Es handelt sich insoweit um eine Ausnahme vom Grundsatz des freien Warenverkehrs, wie er in der allgemeinen Mitteilung dargestellt wurde. Nach diesem Grundsatz muß es einem Lebensmittelimporteur überlassen bleiben, zwischen der im Einfuhrstaat üblichen Bezeichnung und derjenigen, die im Ausfuhrstaat verwendet wird, zu wählen bzw. anzuwenden. Es ist daher erforderlich, die Voraussetzungen und die Anwendungsfälle dieser Ausnahme streng zu begrenzen.

Voraussetzungen, unter denen im Einfuhrstaat eine andere Verkehrsbezeichnung vorgeschrieben werden kann als die, die im Herstellungsland verwendet wird

Die Verwendung einer anderen Verkehrsbezeichnung als der, die im Herstellungsstaat verwendet wird, kann bei der Vermarktung in einem anderen Mitgliedstaat nur vorgeschrieben werden, wenn das eingeführte Erzeugnis „nach Zusammensetzung oder Herstellungsweise derart von den in der Gemeinschaft unter dieser Bezeichnung allgemein bekannten Waren abweicht, daß es nicht mehr der gleichen Warenart zugerechnet werden kann“.

Der Gerichtshof hat in seinen Urteilen in den Rechtssachen „Smanor“ und „Deserbais“ entschieden, unter welchen Voraussetzungen eine Änderung der Verkehrsbezeichnung zur Gewährleistung des Schutzes der Verbraucher vor Verwechslungsgefahren bei unterschiedlichen Erzeugnissen erforderlich ist.

Nach dieser Rechtsprechung ist die Pflicht zur Verwendung einer anderen Bezeichnung immer dann gerechtfertigt, wenn einem Produkt Eigenschaften fehlen, die die Verbraucher in der Gemeinschaft berechtigterweise erwarten können. In solchen Fällen kann eine ausreichende Information des Verbrauchers durch eine zusätzliche Etikettierung allein nicht gewährleistet werden.

Dieser allgemeine Grundsatz erfordert eine genaue Definition dessen, was als „Eigenschaft“ eines Produkts anzusehen ist.

Die Eigenschaften eines Produkts müssen unter Berücksichtigung der wesentlichen Merkmale der Erzeugnisse, die rechtmäßig hergestellt und allgemein in der Gemeinschaft unter einer gewissen Bezeichnung bekannt sind, bestimmt werden. Das bedeutet, daß nicht nur die Merkmale zu berücksichtigen sind, die lediglich den Verbrauchern des Einfuhrmitgliedstaats bekannt sind. Die Verwendung eines solchen Kriteriums hätte zur Folge, daß sich Verbrauchergewohnheiten in den einzelnen Mitgliedstaaten verfestigen würden, ohne daß die notwendigen Entwicklungen berücksichtigt werden könnten, die die Folge der Schaffung eines einheitlichen Binnenmarkts sind, wie der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache 178/84 „deutsches Reinheitsgebot für Bier“ betont hat.

Die Bestimmung der Eigenschaften eines Produkts erfordert jeweils eine Einzelprüfung, die auf objektiven Kriterien beruht und nicht allein die Vorstellungen der Verbraucher zugrunde legt. Der Gerichtshof nennt in diesem Zusammenhang unter anderem folgende Kriterien:

die im Codex Alimentarius der FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinigten Nationen) und der WHO (Weltgesundheitsorganisation) enthaltenen Begriffsbestimmungen,

die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten,

die Zusammensetzung und die Herstellung eines Produkts,

die in etwaigen Rechtsakten der Gemeinschaft, insbesondere dem zur Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs verwendeten Zolltarifschema, enthaltenen Verweise.

Nur wesentliche Abweichungen von den aufgrund der genannten Kriterien festgestellten Eigenschaften können die Verpflichtung zur Verwendung einer anderen Verkehrsbezeichnung rechtfertigen. So entschied der Gerichtshof in der Rechtssache „Deserbais“, in der es um die Bezeichnung „Edam“ ging, daß die Tatsache allein, daß ein Käse einer Norm des Codex Alimentarius der FAO und der WHO in bezug auf den Mindestfettgehalt nicht genau entspreche, nicht ausreiche, um ihm die in Frage stehende Verkehrsbezeichnung zu versagen.

Die in der vorliegenden Mitteilung genannten Fälle sind bereits im Rahmen von informellen Verfahren bzw. förmlichen Vertragsverletzungsverfahren beigelegt worden. Die Kommission hält es gleichwohl für angebracht, alle Mitgliedstaaten und die Wirtschaftsteilnehmer über die vom Gerichtshof entwickelten Grundsätze ebenso zu informieren, wie über die sich daraus für die Kommission in ähnlich gelagerten Fällen ergebenden Lösungen.

Aus den vorstehenden Erläuterungen folgt, daß die in dieser Mitteilung dargelegten Grundsätze und die aufgezeigten Lösungswege das Recht der Mitgliedstaaten, in ihrem Hoheitsgebiet den Vertrieb von Lebensmitteln unter den jeweils gegenwärtig verwendeten Bezeichnungen zu gestatten, nicht beschränken. Diese Mitteilung präzisiert vielmehr die Voraussetzungen, unter denen ein Mitgliedstaat berechtigt ist, einem Produkt die Führung einer Verkehrsbezeichnung, die geeignet ist, den Verbraucher irrezuführen, zu verbieten. In einem solchen Fall haben die Mitgliedstaaten das Recht, eine andere Verkehrsbezeichnung vorzuschreiben, um den Verbraucher über die tatsächlichen Eigenschaften eines Produkts zu informieren. Diese Befugnis unterliegt jedoch insoweit Einschränkungen, als die vorgeschriebenen Bezeichnungen das eingeführte Produkt in den Augen des Verbrauchers nicht herabsetzen dürfen.

Die Bezeichnung „Essig“

Ein durch Gärverfahren aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Wein, Alkohol, Apfelwein, Birnenwein, Bier, Malz und anderen vergorenen Fruchtmosten) gewonnenes Produkt wird in der Gemeinschaft unter der Bezeichnung „Essig“ rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht. In vier Mitgliedstaaten sind neben diesen durch doppelte Gärung (alkoholische und Essigsäuregärung) gewonnenen Produkten auch Erzeugnisse auf dem Markt, die durch Verdünnung von aus der chemischen Industrie stammender synthetischer Essigsäure mit Wasser hergestellt werden. Zwei der genannten Mitgliedstaaten unterscheiden letztere Erzeugnisse hinsichtlich ihrer Bezeichnung nicht von den erstgenannten und stufen sowohl die durch Gärung als auch die durch Verdünnung gewonnenen Produkte als Essig ein. In den beiden anderen Mitgliedstaaten hingegen wird zwischen derartigen Produkten hinsichtlich der Verkehrsbezeichnung unterschieden.

Bei der Einfuhr der durch Verdünnung gewonnenen Erzeugnisse in andere Mitgliedstaaten, in denen dieses Herstellungsverfahren unbekannt ist, stellt sich die Frage, welche Bezeichnung für diese Produkte zulässig ist.

Die wesentlichen Eigenschaften, die dem Produkt „Essig“ in der Gemeinschaft zugerechnet werden, lassen sich nach den obengenannten Kriterien, insbesondere dem, das sich auf das Herstellungsverfahren bezieht, bestimmen. Die Kommission hat festgestellt, daß die Bezeichnung „Essig“ in zehn Mitgliedstaaten solchen Produkten vorbehalten ist, die durch denselben Herstellungsprozeß gewonnen werden, nämlich durch zweifache (Alkohol- und Essigsäure-)Gärung, unabhängig von den verwendeten landwirtschaftlichen Ausgangsstoffen. Das Zolltarifschema unterscheidet darüber hinaus zwischen den durch alkoholische Gärung und Säuregärung agrarischen Usprungs gewonnenen Erzeugnissen einerseits und dem zum Verzehr geeigneten Essigersatz auf der Basis von synthetischer Essigsäure andererseits.

Die Kommission ist zu dem Ergebnis gelangt, daß ein durch Verdünnung und nicht durch doppelte Gärung gewonnenes Erzeugnis nicht die in der Gemeinschaft für „Essig“ als wesentlich angesehenen Eigenschaften in bezug auf das Herstellungsverfahren besitzt und deshalb einer anderen Produktkategorie zuzuordnen ist.

Die Kommission ist deshalb der Auffassung, daß ein Mitgliedstaat das Inverkehrbringen von Erzeugnissen, die durch Verdünnung von synthetischer Essigsäure mit Wasser gewonnen werden, in seinem Hoheitsgebiet unter der Bezeichnung „Essig“ selbst dann untersagen kann, wenn die genannten Erzeugnisse in einem anderen Mitgliedstaat unter dieser Bezeichnung rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht werden.

Die Bezeichnung „Joghurt“

In dem obengenannten Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache „Smanor“ hatte sich dieser mit der Bestimmung der wesentlichen Eigenschaften von Joghurt zu befassen. Er stellte darin fest, daß sowohl aus dem Codex Alimentarius der FAO und der WHO als auch aus den Rechtsvorschriften einiger Mitgliedstaaten hervorgehe, „daß das charakteristische Merkmal des als ‚Joghurt’ vermarkteten Erzeugnisses das Vorhandensein von lebenden Milchbakterien in reichlicher Menge ist“ (Rdn. 22 Urteil „Smanor“), ohne jedoch deren Anzahl bzw. deren Prozentsatz im einzelnen festzulegen.

Die Kommission hat daher die Ansicht vertreten, daß ein Mitgliedstaat einem Erzeugnis, in dem aufgrund einer Behandlung keine lebenden Milchsäurebakterien mehr enthalten sind, die Führung der Bezeichnung „Joghurt“ sowie jeder anderen Bezeichnung, die das Wort „Joghurt“ enthält, untersagen kann. Auch lediglich eine Bezugnahme auf dieses Wort ist nämlich geeignet, den Verbraucher über die tatsächlichen Eigenschaften des Produkts zu täuschen, ohne daß eine zusätzliche Etikettierung einen solchen Irrtum korrigieren könnte.

Die Bezeichnung „Kaviar“

Die Kommission hat sich mit der Frage beschäftigt, ob Seefischrogen, der in einem Mitgliedstaat unter der Bezeichnung „Kaviar“ vertrieben wird, unter dieser Bezeichnung auch in anderen Mitgliedstaaten, die den Begriff Kaviar dem Rogen des Störs vorbehalten, auf den Markt gebracht werden kann. Es war daher festzustellen, ob die fragliche Bezeichnung einen Oberbegriff zur Bezeichnung von Fischrogen darstellt oder ausschließlich den aus Störrogen hergestellten Produkten vorbehalten ist. Unter Zugrundelegung der vom Gerichtshof erarbeiteten Kriterien ist die Kommission zu folgendem Ergebnis gelangt:

Zwar enthält der Codex Alimentarius der FAO und der WHO keine diesbezügliche Definition, jedoch finden sich in einigen Rechtsvorschriften der Gemeinschaft, ohne daß diese eine Harmonisierung dieses Bereichs zum Gegenstand haben, Hinweise darauf, daß der Begriff „Kaviar“ sich nur auf Störrogen bezieht, während andere Erzeugnisse mit dem Begriff „Kaviarersatz“ bezeichnet werden. Andererseits lassen lediglich zwei Mitgliedstaaten die Verwendung der Bezeichnung „Kaviar“ als Oberbegriff für Fischrogen zu. Für die Kommission ergab sich daraus, daß der Begriff „Kaviar“ in der Gemeinschaft im allgemeinen als Bezeichnung für Störrogen angesehen wird.

Die Mitgliedstaaten haben daher das Recht, Erzeugnissen, bei denen es sich nicht um Störrogen handelt, das Führen der Bezeichnung „Kaviar“ in ihrem Hoheitsgebiet zu untersagen.

Schlußbemerkung

Die Kommission erinnert daran, daß die vorstehend dargestellten Fälle Ausnahmen von dem Grundsatz bleiben müssen, der besagt, daß der Importeur eines Lebensmittels die Wahl hat zwischen der Beibehaltung der im Herstellungsmitgliedstaat angewendeten Verkehrsbezeichnung und der Führung der Bezeichnung, die im Einfuhrmitgliedstaat üblich ist, bzw. der Verwendung beider Bezeichnungen.

Die Kommission wird daher wie bisher die Anwendung des Gemeinschaftsrechts überwachen, wobei eine Verpflichtung zur Änderung der Verkehrsbezeichnung nur dann akzeptiert werden kann, wenn aufgrund eines Bündels von übereinstimmenden Faktoren festgestellt wird, daß es sich um Erzeugnisse handelt, die Abweichungen hinsichtlich ihrer wesentlichen Eigenschaften aufweisen.