II 15.1

Durchführungsbeschluss (EU) 2019/300 der Kommission zur Erstellung eines allgemeinen Plans für das Krisenmanagement im Bereich der Lebens- und Futtermittelsicherheit

Vom 19. Februar 2019

(ABl. Nr. L 50/55)
nicht-amtliches Inhaltsverzeichnis

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION –

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit1, insbesondere auf Artikel 55,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1) Artikel 55 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 sieht vor, dass die Kommission in enger Zusammenarbeit mit der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (im Folgenden die „EFSA“) und den Mitgliedstaaten einen allgemeinen Plan für das Krisenmanagement im Bereich der Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit erstellt (im Folgenden der „allgemeine Plan“). Dementsprechend ist im Beschluss 2004/478/EG der Kommission2 ein solcher allgemeiner Plan festgelegt.

(2) Seit dem Erlass des Beschlusses 2004/478/EG der Kommission wurden im Verlauf mehrerer lebens- und futtermittelbedingter Vorfälle weitere Erfahrungen mit der Koordinierung des Krisenmanagements auf Unionsebene gesammelt.

(3) Diese jahrelange Erfahrung, die im Rahmen der REFIT-Bewertung der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (Eignungsprüfung des allgemeinen Lebensmittelrechts)3 analysiert wurde, hat gezeigt, dass das Management von Lebens- und Futtermittelkrisen auf Ebene der Union und der Mitgliedstaaten neu bewertet werden muss. Aus der Bewertung ergibt sich, dass die Krisenvorsorge neben dem Krisenmanagement stärker in den Mittelpunkt gerückt werden muss, wenn in einer Lebens- oder Futtermittelkrise Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit verhindert oder minimiert werden sollen. Damit könnten auch die wirtschaftlichen Auswirkungen (wie Beschränkungen des Handels) einer Lebens- oder Futtermittelkrise erheblich verringert und ein Beitrag zur Erreichung der Zielsetzungen der Kommission im Bereich Arbeitsplätze, Wachstum und Investitionen geleistet werden. Zudem ist es notwendig, dass sich die Kommission in diesem Bereich stärker in die Kommunikation und die allgemeine Koordinierung der Mitgliedstaaten einbringt. Die Eignungsprüfung des allgemeinen Lebensmittelrechts enthält eine ganze Reihe von Empfehlungen, wie sich die Effizienz des allgemeinen Plans verbessern lässt.

(4) Die EFSA ist für die Bereitstellung von Gutachten zuständig, die als wissenschaftliche Grundlage für den Erlass von Maßnahmen der Union dienen, und hat die Aufgabe, in Bezug auf die Verfahren zur Bewältigung von Lebens- und Futtermittelkrisen wissenschaftliche und technische Unterstützung zu gewähren. Die Rolle, welche die EFSA im Rahmen des allgemeinen Plans spielt, sollte in Anbetracht der gesammelten Erfahrungen präziser abgestimmt und gestärkt werden.

(5) Wenn andere einschlägige wissenschaftliche Einrichtungen der Union im Rahmen ihres jeweiligen Zuständigkeits bereichs mit Input oder Maßnahmen einen Beitrag leisten können, sollte die EFSA sich unter Wahrung der Zuständigkeit jeder Einrichtung mit diesen koordinieren, etwa mit dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC), der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) und der Gruppe der Sachverständigen, die von dem in Artikel 31 des EURATOM-Vertrags4 genannten Ausschuss für Wissenschaft und Technik ernannt werden. Außerdem muss der allgemeine Plan die Koordinierung mit den Krisenvorsorge- und Reaktionssystemen des ECDC in den Fällen sicherstellen, in denen Menschen betroffen sind, sodass die Gesundheitsbehörden und andere Akteure gewarnt werden, wenn eine lebens- oder futtermittelbedingte Krise droht, die sich auf die Gesundheit von Menschen auswirken könnte.

(6) Der Beschluss Nr. 1082/2013/EU des Europäischen Parlaments und des Rates5 regelt die epidemiologische Überwachung, Beobachtung, frühzeitige Meldung und Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren, einschließlich der diesbezüglichen Bereitschafts- und Reaktionsplanung, im Fall von Gefahren biologischen, chemischen, umweltbedingten oder unbekannten Ursprungs sowie die Einrichtung eines Frühwarn- und Reaktionssystems (EWRS). In Anbetracht des möglichen Zusammenhangs mit der Krisenvorsorge und dem Krisenmanagement im Bereich der Lebensmittelkette sollte der allgemeine Plan auch den einschlägigen Regelungen des Beschlusses Nr. 1082/2013/EU Rechnung tragen.

(7) Der allgemeine Plan der Union sollte dahin gehend überarbeitet werden, dass er künftig auch Verfahren zur Erleichterung der Koordinierung mit den nationalen Notfallplänen für Lebens- und Futtermittel enthält, die gemäß Artikel 115 der Verordnung (EU) 2017/625 des Europäischen Parlaments und des Rates über amtliche Kontrollen6 zu erstellen sind.

(8) Hauptziel des vorliegenden Beschlusses ist der Schutz der öffentlichen Gesundheit in der Union. Deshalb sollte der allgemeine Plan gemäß Artikel 55 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 nur für Situationen gelten, in denen unmittelbare oder mittelbare Risiken für die öffentliche Gesundheit bestehen. Diese Risiken für die öffentliche Gesundheit können biologischer, chemischer oder physikalischer Art sein. Dazu zählen auch Gefahren durch Allergene und Radioaktivität. Das Konzept, die Grundsätze und die praktischen Verfahren des allgemeinen Plans können jedoch auch als Leitlinien für den Umgang mit anderen lebensmittelbedingten Vorfällen herangezogen werden, in denen kein derartiges Risiko für die öffentliche Gesundheit besteht.

(9) Im Jahr 2017 führte die Kommission ein internes Audit zur Krisenvorsorge im Bereich der Lebensmittelsicherheit vonseiten der GD SANTE durch; dabei wurden einige Schwächen in dem geltenden allgemeinen Plan festgestellt, die behoben werden müssen.

(10) Die Ministerkonferenz vom 26. September 2017 zu den Maßnahmen im Anschluss an den Fipronil-Vorfall7 kam zu mehreren Schlussfolgerungen. Obgleich dieser Vorfall und Betrugsfall im Mittelpunkt der Schlussfolgerungen stand, sind einige davon ganz allgemein für das Krisenmanagement im Bereich Lebens- und Futtermittel relevant; sie betreffen u. a. die Einrichtung einer einzigen Kontaktstelle pro Mitgliedstaat, die die betreffenden Krisenmanagementaktivitäten aller nationalen Verwaltungsbehörden koordiniert.

(11) Um den seit dem Erlass des Beschlusses 2004/478/EG der Kommission gesammelten Erfahrungen Rechnung zu tragen und seine Anpassung an neue Entwicklungen zu ermöglichen, sollte der Beschluss 2004/478/EG deshalb aufgehoben und durch einen neuen Beschluss mit einem aktualisierten allgemeinen Plan ersetzt werden.

(12) Dieser Beschluss sollte hinsichtlich der Art der Situationen, die als Krise behandelt werden sollten, einem schrittweisen Ansatz zugrunde legen und entsprechende Kriterien umfassen. Nicht in allen Situationen, die in den Anwendungsbereich des Artikels 55 fallen könnten, ist es notwendig, gemäß Artikel 56 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 einen Krisenstab zu bilden, doch kann auch in diesen Fällen eine verbesserte Koordinierung auf Unionsebene von Nutzen sein. Zu den einschlägigen Kriterien sollten u. a. die Schwere und Tragweite des Vorfalls unter dem Gesichtspunkt der Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit gehören, ferner die einschlägige Wahrnehmung durch die Verbraucher und die politische Sensibilität, besonders dann, wenn die Quelle noch nicht sicher ermittelt wurde, ob der Vorfall vorsätzlich herbeigeführt wurde (z. B. im Fall von Bioterrorismus oder als Nebeneffekt eines Betrugs) und ob damit eine Krise ausgelöst werden sollte (z. B. Bioterrorismus), sowie die Wiederholung früherer Vorfälle, auf die möglicherweise nicht ausreichend reagiert wurde.

(13) Die Koordinierung verschiedener Behörden auf Ebene der Union und der Mitgliedstaaten, von Warn- und Informationssystemen und Laboren ist notwendig, damit Informationen ausgetauscht und Maßnahmen zur Bewältigung einer Krise getroffen werden können. Insoweit würde durch eine Verknüpfung des Frühwarn- und Reaktionssystems mit anderen Warn- und Informationssystemen auf Unionsebene wie dem Schnellwarnsystem für Lebens- und Futtermittel das Konzept „Eine Gesundheit“ ausgeweitet, z. B. durch Koordinierung der in Reaktion auf ein und denselben Vorfall ergriffenen Maßnahmen der Behörden für Lebensmittelsicherheit und öffentliche Gesundheit, indem den Behörden für Lebensmittelsicherheit Zugang zu Informationen der Verwaltungsbehörden über Fälle gewährt wird, in denen Menschen betroffen sind.

(14) Für ein wirksames Krisenmanagement im Bereich der Lebens- und Futtermittelkette ist es notwendig, dass die Krisenvorsorge durch praktische Verfahren gewährleistet ist, die bereits vor einem Vorfall für eine verbesserte Koordinierung auf Unionsebene sorgen.

(15) Die praktischen Verfahren für die in Artikel 55 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 genannten Situationen sollten klar definiert sein, damit in solchen Situationen reibungslos und schnell reagiert werden kann. Aus demselben Grund sollten Rolle, Zusammensetzung und praktische Arbeitsweise des Krisenstabs festgelegt werden.

(16) Eine evidenzbasierte Kommunikation in Echtzeit gegenüber der Öffentlichkeit und Handelspartnern ist wesentliche Voraussetzung für den Schutz der öffentlichen Gesundheit durch Verhütung der weiteren Ausbreitung von Risiken sowie für die Wiederherstellung des Vertrauens in die Sicherheit der nicht von einem Vorfall betroffenen Lebens- und Futtermittel. Die Entwicklung von Transparenzgrundsätzen und eine Kommunikations strategie sind daher wesentliche Bestandteile des Krisenmanagements.

(17) Der vorliegende allgemeine Plan war Gegenstand von Konsultationen mit der EFSA und wurde im Ständigen Ausschusses für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel mit den Mitgliedstaaten erörtert –

HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:


1

ABl. L 31 vom 1.2.2002, S. 1.

2

Beschluss 2004/478/EG der Kommission vom 29. April 2004 zur Erstellung eines allgemeinen Plans für das Krisenmanagement im Bereich der Lebens- und Futtermittelsicherheit (ABl. L 160 vom 30.4.2004, S. 98).

3

Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen – Eignungsprüfung des allgemeinen Lebensmittelrechts (Verordnung (EG) Nr. 178/2002), SWD(2018)37 vom 15.1.2018.

5

Beschluss Nr. 1082/2013/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 2119/98/EG (ABl. L 293 vom 5.11.2013, S. 1).

6

Verordnung (EU) 2017/625 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2017 über amtliche Kontrollen und andere amtliche Tätigkeiten zur Gewährleistung der Anwendung des Lebens- und Futtermittelrechts und der Vorschriften über Tiergesundheit und Tierschutz, Pflanzengesundheit und Pf lanzenschutzmittel, zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 999/2001, (EG) Nr. 396/2005, (EG) Nr. 1069/2009, (EG) Nr. 1107/2009, (EU) Nr. 1151/2012, (EU) Nr. 652/2014, (EU) 2016/429 und (EU) 2016/2031 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Verordnungen (EG) Nr. 1/2005 und (EG) Nr. 1099/2009 des Rates sowie der Richtlinien 98/58/EG, 1999/74/EG, 2007/43/EG, 2008/119/EG und 2008/120/EG des Rates und zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 854/2004 und (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 89/608/EWG, 89/662/EWG, 90/425/EWG, 91/496/EEG, 96/23/EG, 96/93/EG und 97/78/EG des Rates und des Beschlusses 92/438/EWG des Rates (Verordnung über amtliche Kontrollen), ABl. L 95 vom 7.4.2017, S. 1).