DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION –

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EU) 2018/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates1, insbesondere auf Artikel 22 Absatz 1 Buchstaben b und c,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Kapitel III der Verordnung (EU) 2018/848 enthält allgemeine Produktionsvorschriften für ökologische/biologische Erzeugnisse.

(2)

Bestimmte Ereignisse wie extreme Witterungsverhältnisse oder weitverbreitete Tierseuchen oder Pflanzenkrankheiten können schwerwiegende Auswirkungen auf die ökologische/biologische Produktion in den betroffenen Betrieben oder Produktionseinheiten in der Union haben. Damit die ökologische/biologische Produktion fortgesetzt oder wieder aufgenommen werden kann, sind in der Verordnung (EU) 2018/848 Ausnahmen von den Produktionsvorschriften vorgesehen, sofern diese auf Situationen beschränkt sind, die in der Union als Katastrophenfälle gelten, wobei die Unterschiede beim ökologischen Gleichgewicht sowie die klimatischen und örtlichen Gegebenheiten in den Gebieten in äußerster Randlage der Union zu berücksichtigen sind.

(3)

Angesichts der Vielfalt der Fälle und Umstände, die in den Mitgliedstaaten auftreten können, und der mangelnden Erfahrung mit der Anwendung des Artikels 22 der Verordnung (EU) 2018/848 ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich, auf Unionsebene gemeinsame Kriterien zur Einstufung einer Situation als Katastrophenfall festzulegen. Es sollte jedoch vorgesehen werden, dass der Mitgliedstaat, in dem eine solche Situation eintritt, einen förmlichen Beschluss zur Anerkennung der Situation als Katastrophenfall erlässt. Dieser förmliche Beschluss sollte entweder für ein ganzes Gebiet oder für einen einzelnen Unternehmer ergehen.

(4)

Die Ausnahmen von den Produktionsvorschriften in der Union müssen auf das für die Fortsetzung oder die Wiederaufnahme der ökologischen/biologischen Produktion unbedingt erforderliche Maß beschränkt werden. Die in dieser Verordnung vorgesehenen Ausnahmen sollten daher zeitlich befristet sein und nur für die betroffenen Erzeugungsarten oder gegebenenfalls für die betroffenen Landparzellen sowie für alle betroffenen Unternehmer in dem betreffenden Gebiet oder für den einzelnen, unter den förmlichen Beschluss fallenden Unternehmer gewährt werden.

(5)

Es ist erforderlich, in dieser Verordnung die Ausnahmen von den Produktionsvorschriften und die entsprechenden Bedingungen festzulegen, die im Katastrophenfall in der Pflanzen-, Tier-, Aquakultur- und Weinerzeugung gelten können.

(6)

Haben von einem Katastrophenfall betroffene Unternehmer keinen Zugang zu ökologischem/biologischem Pflanzenvermehrungsmaterial oder Umstellungspflanzenvermehrungsmaterial für die ökologische/biologische Produktion von Pflanzen und pflanzlichen Erzeugnissen mit Ausnahme von Pflanzenvermehrungsmaterial, muss diesen Unternehmern die Möglichkeit eingeräumt werden, unter bestimmten Bedingungen nichtökologisches/nichtbiologisches Pflanzenvermehrungsmaterial zu verwenden.

(7)

Kommt es in einem Betrieb oder einer Produktionseinheit zu einer hohen Sterblichkeit von Tieren, einschließlich Bienen oder anderer Insekten, und haben die Unternehmer keinen Zugang zu ökologischen/biologischen Tieren, Bienen oder anderen Insekten, um ihre Bestände zu erneuern oder wiederaufzubauen, muss diesen Unternehmern die Möglichkeit eingeräumt werden, unter bestimmten Bedingungen nichtökologische/nichtbiologische Tiere zu verwenden.

(8)

Da bestimmte extreme Witterungsverhältnisse wie schwere Dürren oder Überschwemmungen die Verfügbarkeit von ökologischen/biologischen Futtermitteln oder Umstellungsfuttermitteln drastisch verringern können, muss den betroffenen Unternehmern die Möglichkeit eingeräumt werden, Tiere mit nichtökologischen/nichtbiologischen Futtermitteln zu füttern.

(9)

Da bestimmte Ereignisse wie Erdbeben oder Überschwemmungen die Weideflächen oder die Stallungen in einem Betrieb oder einer Produktionseinheit teilweise zerstören können, muss den betroffenen Unternehmern die Möglichkeit eingeräumt werden, von der Verpflichtung zur Weidehaltung der Tiere oder von den maximalen Besatzdichten in Stallungen sowie den Mindeststallflächen und Mindestaußenflächen abzuweichen, die in einem gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung (EU) 2018/848 erlassenen Durchführungsrechtsakt festgelegt sind.

(10)

Da bestimmte extreme Witterungsverhältnisse wie schwere Dürren oder Überschwemmungen die Verfügbarkeit von ökologischem/biologischem Raufutter, Frischfutter, Trockenfutter oder Silage drastisch verringern können, muss den betroffenen Unternehmern die Möglichkeit eingeräumt werden, den prozentualen Anteil der Trockenmasse in den Tagesrationen für Rinder, Schafe, Ziegen und Equiden zu verringern, sofern der Nährstoffbedarf der Tiere in den verschiedenen Entwicklungsstadien gedeckt wird.

(11)

Da neben den Witterungsverhältnissen auch bestimmte andere Ereignisse wie Brände oder Erdbeben die Verfügbarkeit von Nektar und Pollen für Bienen drastisch verringern können, muss die Möglichkeit eingeräumt werden, Bienenvölker mit ökologischem/biologischem Honig, ökologischem/biologischem Pollen, ökologischem/biologischem Zuckersirup oder ökologischem/biologischem Zucker zu füttern, wenn das Überleben des Bienenvolks gefährdet ist.

(12)

Da bestimmte Ereignisse wie extreme Witterungsverhältnisse, Brände oder Erdbeben die Nektar- und Pollenquellen in bestimmten Gebieten drastisch verringern können, muss den betroffenen Unternehmern die Möglichkeit eingeräumt werden, Bienenvölker in Gebiete zu verbringen, die möglicherweise nicht im Wesentlichen aus ökologisch/biologisch erzeugten Pflanzen oder aus Wildpflanzen oder nichtökologisch/nichtbiologisch bewirtschafteten Wäldern oder Kulturpflanzen bestehen, die nur nach Methoden mit geringer Umweltauswirkung bewirtschaftet werden, wenn das Überleben des Bienenvolks gefährdet ist.

(13)

Kommt es in einem Betrieb oder einer Produktionseinheit zu einer hohen Sterblichkeit von Aquakulturtieren und haben die Unternehmer keinen Zugang zu ökologischen/biologischen Aquakulturtieren, um ihre Bestände zu erneuern oder wiederaufzubauen, muss diesen Unternehmern die Möglichkeit eingeräumt werden, unter bestimmten Bedingungen nichtökologische/nichtbiologische Aquakulturtiere zu verwenden.

(14)

Wirken sich bestimmte Katastrophenfälle negativ auf den Gesundheitszustand von ökologischen/biologischen Trauben aus, muss den betroffenen Weinerzeugern die Möglichkeit eingeräumt werden, mehr Schwefeldioxid zu verwenden als die Höchstmenge, die in dem gemäß Artikel 24 Absatz 9 der Verordnung (EU) 2018/848 erlassenen Durchführungsrechtsakt festgesetzt ist, auf keinen Fall jedoch mehr als die in Anhang I Teil B der Delegierten Verordnung (EU) 2019/934 der Kommission2 festgesetzte Höchstmenge, um ein vergleichbares Enderzeugnis zu erhalten.

(15)

Im Interesse der Transparenz und der Kontrollen ist es erforderlich, dass Informationen über die gewährten Ausnahmen in harmonisierter Weise über ein IT-System zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission ausgetauscht werden.

(16)

Es muss sichergestellt werden, dass Unternehmer, denen Ausnahmen gewährt wurden, die Bedingungen der gewährten Ausnahmen erfüllen. Zu Kontrollzwecken sollten die Unternehmer Nachweise aufbewahren, aus denen hervorgeht, dass ihnen bestimmte für ihre Tätigkeiten relevante Ausnahmen gewährt wurden und dass sie die damit verbundenen Bedingungen erfüllen.

(17)

Im Interesse der Klarheit und Rechtssicherheit sollte diese Verordnung ab dem Geltungsbeginn der Verordnung (EU) 2018/848 gelten –

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:


1

ABl. L 150 vom 14.6.2018, S. 1.

2

Delegierte Verordnung (EU) 2019/934 der Kommission vom 12. März 2019 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Anbauflächen, auf denen der Alkoholgehalt der Weine erhöht werden darf, der zugelassenen önologischen Verfahren und der Einschränkungen für die Erzeugung und Haltbarmachung von Weinbauerzeugnissen, des Mindestalkoholgehalts von Nebenerzeugnissen und deren Beseitigung sowie der Veröffentlichung von OIV-Dossiers (ABl. L 149 vom 7.6.2019, S. 1).