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Delegierte Verordnung (EU) 2021/1760 der Kommission zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates durch die Festlegung der Kriterien für die Bestimmung antimikrobieller Wirkstoffe, die der Behandlung bestimmter Infektionen beim Menschen vorbehalten bleiben müssen

Vom 26. Mai 2021

nicht-amtliches Inhaltsverzeichnis

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION –

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über Tierarzneimittel und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/82/EG1, insbesondere auf Artikel 37 Absatz 4,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Die Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates zielt darauf ab, die Verwaltungslast zu verringern, den Binnenmarkt weiterzuentwickeln, die Verfügbarkeit von Tierarzneimitteln zu verbessern und gleichzeitig das höchste Maß an Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier und der Umwelt zu gewährleisten. Insbesondere soll die Verbreitung antimikrobieller Resistenzen durch konkrete Maßnahmen eingedämmt werden, um gemäß dem Konzept „Eine Gesundheit“2 eine umsichtige und verantwortungsvolle Verwendung antimikrobieller Wirkstoffe bei Tieren zu fördern.

(2)

Obwohl die Wirksamkeit aller antimikrobiellen Wirkstoffe wichtig für die Erhaltung der öffentlichen Gesundheit ist, werden einige antimikrobielle Wirkstoffe als wichtiger erachtet als andere, da sie bevorzugte Optionen für die Behandlung schwerer Infektionen beim Menschen sind und nicht immer alternative Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Wenn sich eine antimikrobielle Resistenz gegen einen antimikrobiellen Wirkstoff entwickelt, der zur Behandlung einer bestimmten Infektion eingesetzt wird, für die es keine Behandlungsalternativen gibt, und sich diese Resistenz verbreitet, sind die Folgen für die öffentliche Gesundheit erheblich und potenziell lebensbedrohlich. Die menschliche Gesundheit, die Tiergesundheit und die Umwelt sind miteinander verbunden und sind alle wesentliche Bestandteile des Konzepts „Eine Gesundheit“, weshalb sich das antimikrobielle Management in einem Sektor auf die Resistenz gegen antimikrobielle Wirkstoffe in den anderen Sektoren auswirken kann.

(3)

Gemäß Artikel 37 Absatz 4 der Verordnung (EU) 2019/6 erlässt die Kommission delegierte Rechtsakte, in denen Kriterien festgelegt werden, anhand derer die Kommission bestimmen kann, welche antimikrobiellen Wirkstoffe oder Gruppen derselben der Verwendung beim Menschen vorbehalten bleiben sollten.

(4)

Verschiedene internationale Organisationen und Länder haben Kriterien für die Bestimmung oder Einstufung der Bedeutung antimikrobieller Wirkstoffe bzw. von Klassen antimikrobieller Wirkstoffe für die Human- und Veterinärmedizin entwickelt. Diese Kriterien wurden für die Anwendung in Risikomanagementstrategien im Zusammenhang mit der Verwendung antimikrobieller Wirkstoffe in humanmedizinischen Einrichtungen und bei Tieren entwickelt. Die Priorisierung von für den Menschen wichtigen antimikrobiellen Wirkstoffen ist ein wertvolles Instrument zur Unterstützung eines faktengestützten Ansatzes für das Risikomanagement.

(5)

Die Kriterien, anhand derer bestimmt wird, welche antimikrobiellen Wirkstoffe der Verwendung beim Menschen vorbehalten bleiben müssen, sollten klar und sachdienlich sein und den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung tragen. Die Beratung der Kommission durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (im Folgenden die „Agentur“) gemäß Artikel 37 Absatz 6 erfolgte am 31. Oktober 20193. Dabei berücksichtigte die Agentur Sachverständigengutachten der zuständigen nationalen Behörden, der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten. Zur Vorbereitung fand am 14. Juni 2019 in Brüssel ein wissenschaftlicher Workshop statt, an dem Mitglieder der Sachverständigengruppe der Agentur und internationale Organisationen teilnahmen. Der Workshop ermöglichte den Teilnehmern einen Meinungsaustausch und den Austausch von Fachwissen aus globaler Sicht zur Frage, wie solche Kriterien festgelegt werden können. Das Ergebnis dieser Erörterungen wurde von der Sachverständigengruppe der Agentur in ihrer Beratung berücksichtigt, und die Kommission hat dem gemäß Artikel 37 Absatz 6 der Verordnung (EU) 2019/6 Rechnung getragen.

(6)

Während eine Reihe von Ländern innerhalb und außerhalb der Union Maßnahmen ergriffen haben, um die Verwendung bestimmter antimikrobieller Wirkstoffe einzuschränken, gibt es nur in wenigen Ländern spezifische Rechtsvorschriften zum Verbot ihrer Verwendung in der Veterinärmedizin. Das Verbot der Verwendung antimikrobieller Wirkstoffe bei Tieren ist eine der schwerwiegendsten Risikomanagementmaßnahmen, die getroffen werden können, weshalb hier Vorsicht geboten ist. Soweit möglich sollten andere bestehende Risikomanagementmaßnahmen bevorzugt werden, wie die Verbesserung der Tierhaltung, der Biosicherheit und der Bestands- oder Herdenführung, eine bessere Nutzung von Impfungen und die Beschränkung der Verwendung antimikrobieller Wirkstoffe auf besondere Umstände.

(7)

Antimikrobielle Wirkstoffe, die nur zur Behandlung bestimmter Infektionen beim Menschen verwendet werden dürfen, sollten auf der Grundlage solider Kriterien bestimmt werden. Anhand dieser Kriterien sollten diejenigen antimikrobiellen Wirkstoffe ermittelt werden können, die für die Erhaltung der menschlichen Gesundheit von großer Bedeutung sind und daher ausschließlich für die Verwendung in der Humanmedizin in Betracht gezogen werden sollten. Anhand dieser Kriterien sollte es auch möglich sein, diejenigen antimikrobiellen Wirkstoffe zu ermitteln, deren Verwendung bei Tieren die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen beschleunigen oder ein Risiko hierfür darstellen könnte, da sie die Übertragung von Resistenzen, wozu eine Kreuzresistenz oder eine Co-Selektion von Resistenzen gegen andere antimikrobielle Wirkstoffe gehören können, von Tieren auf den Menschen ermöglichen. Schließlich sollten anhand der Kriterien auch antimikrobielle Wirkstoffe zu ermitteln sein, für die im Bereich der Tiergesundheit kein wesentlicher Bedarf besteht und deren Nichtanwendung in der Veterinärmedizin keine erheblichen negativen Auswirkungen auf die Tiergesundheit haben würde.

(8)

Bei der Prüfung, ob antimikrobielle Wirkstoffe der Behandlung bestimmter Infektionen beim Menschen vorbehalten werden können, ist es wichtig festzustellen, ob die Nichtanwendung eines antimikrobiellen Wirkstoffes in der Veterinärmedizin zu einer hohen Morbidität oder Mortalität führen würde oder erhebliche Auswirkungen auf das Wohlergehen der Tiere und die öffentliche Gesundheit hätte. Im letzteren Fall sollte geprüft werden, ob geeignete alternative Arzneimittel für die Behandlung der betreffenden Krankheiten bei den jeweiligen Tierarten verfügbar sind.

(9)

Bei der Prüfung der Verwendung alternativer Arzneimittel anstelle bestimmter antimikrobieller Arzneimittel ist es wichtig zu beachten, dass diese Mittel geeignet und verfügbar sind. Solche Alternativen sollten zugelassene Arzneimittel in geeigneten Formulierungen für die Behandlung der Krankheit bei der betreffenden Tierart sein. Ihre Verwendung sollte das mit antimikrobiellen Resistenzen verbundene Risiko für die öffentliche Gesundheit gegenüber dem zu ersetzenden antimikrobiellen Arzneimittel verringern.

(10)

In Ausnahmefällen, in denen wissenschaftliche Erkenntnisse ein übergeordnetes Interesse der öffentlichen Gesundheit belegen, sollte das Kriterium des nicht wesentlichen Bedarfs im Tiergesundheitsbereich die Möglichkeit vorsehen, dass antimikrobielle Wirkstoffe der Verwendung beim Menschen vorbehalten bleiben, auch wenn kein alternatives Arzneimittel für die Veterinärmedizin verfügbar ist, vorausgesetzt, dass die Nichtanwendung eines solchen antimikrobiellen Wirkstoffs nur zu einer begrenzten Morbidität oder einer begrenzten Mortalität führen würde. In solchen Ausnahmefällen sollte die Erfüllung der beiden anderen Kriterien (große Bedeutung für die menschliche Gesundheit und Risiko der Resistenzübertragung) weiterhin erforderlich sein, damit ein antimikrobieller Wirkstoff der Verwendung beim Menschen vorbehalten bleiben kann.

(11)

Gemäß Artikel 152 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2019/6 gelten Zulassungen bestehender Arzneimittel, die gemäß den früheren Rechtsvorschriften genehmigt wurden, als auf der Grundlage der Verordnung erteilt, mit Ausnahme von Zulassungen für Tierarzneimittel, die antimikrobielle Wirkstoffe enthalten und ausschließlich der Verwendung beim Menschen vorbehalten bleiben. Die Kriterien des vorliegenden Rechtsakts gelten für antimikrobielle Wirkstoffe, die noch nicht für den Veterinärmarkt zugelassen wurden, aber auch für antimikrobielle Wirkstoffe in bestehenden Tierarzneimitteln.

(12)

Es wird eingeräumt, dass die für die Bewertung der Erfüllung der Kriterien erforderlichen verfügbaren Erkenntnisse je nach Zulassungsstatus des betreffenden antimikrobiellen Wirkstoffs bzw. der betreffenden Gruppe antimikrobieller Wirkstoffe unterschiedlich sein können: (1) nur in der Humanmedizin zugelassen; (2) nur in der Veterinärmedizin zugelassen; (3) sowohl in der Human- als auch in der Veterinärmedizin zugelassen; (4) weder in der Human- noch in der Veterinärmedizin zugelassen. Aus diesem Grund sollten die verfügbaren Erkenntnisse bei der Anwendung der Kriterien berücksichtigt werden.

(13)

Diese Verordnung sollte gemäß Artikel 153 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2019/6 ab dem 28. Januar 2022 gelten –

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:


1

ABl. L 4 vom 7.1.2019, S. 43.

2

Mitteilung der Kommission vom 29. Juni 2017 über einen Europäischen Aktionsplan zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen im Rahmen des Konzepts „Eine Gesundheit“ (COM (2017) 339).

3

Beratung zu Durchführungsmaßnahmen gemäß Artikel 37 Absatz 4 der Verordnung (EU) 2019/6 über Tierarzneimittel – Kriterien für die Bestimmung antimikrobieller Wirkstoffe, die der Behandlung bestimmter Infektionen beim Menschen vorbehalten bleiben müssen (EMA/CVMP/158366/2019).